Julia Extra Band 0299
kurz davor schwach zu werden, nicht wahr?“
Liliana lachte leise auf. „Woher weißt du das?“
Ilana lachte ebenfalls. „Das sehe ich dir an der Nasenspitze an.“
„Ich bin entschlossen, ernsthaftes Interesse zu signalisieren, obwohl ich hoffe, dass ich Jean-Marc beim Preis noch etwas drücken kann.“
Sie durchquerten die Galerie und blieben zwischendurch immer wieder stehen, um Bekannte zu begrüßen und ein paar freundliche Worte zu wechseln. Schließlich machte Liliana vor einem Ölgemälde Halt, auf dem eine Landschaft zu sehen war, die so meisterhaft dargestellt war, dass sie fast lebensecht wirkte.
„Ah, das ist es also“, sagte Ilana. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Und sie glaubte sogar schon zu wissen, wo ihre Mutter das Ölgemälde hinhängen wollte.
„Ja“, bestätigte Liliana lächelnd. „Es kommt ins Esszimmer.“
„Es ist wirklich außergewöhnlich, und auch farblich würde es gut passen“, redete Ilana ihrer Mutter zu.
„Stimmt.“ Liliana wandte den Kopf, als Jean-Paul neben sie trat.
„Sie möchten es doch nicht etwa kaufen, Liliana?“
„Durchaus möglich.“ Liliana machte eine kleine Kunstpause. „Das einzige Problem ist der Preis.“
„Da ist bestimmt noch Luft drin. In dieser Hinsicht ist mein Vater normalerweise recht flexibel.“
„Dann rede ich wohl am besten gleich mal mit ihm“, sagte Liliana zu ihrer Tochter, nachdem Jean-Paul sich um einen anderen Gast kümmerte. „Sonst kommt mir womöglich noch jemand zuvor.“
„Ja, gut, bis später dann.“ Ilana machte es nichts aus, sich eine Weile allein umzusehen. Und vielleicht entdeckte sie ja irgendetwas für sich selbst. Die Entdeckung, die sie dann tatsächlich machte, war allerdings ganz anderer Art als vermutet. Das Bild, von dem sie lange den Blick nicht abwenden konnte, schlug sie mit seiner unheimlichen Ausstrahlung in seinen Bann. Es war derart beunruhigend, dass es wahrscheinlich kaum einen Betrachter gab, der sich nicht irritiert davon fühlte.
„Interessant, nicht wahr?“ Die tiefe Stimme gehörte Xandro Caramanis. Ilana fuhr erschrocken zusammen und fragte sich, warum ihr Instinkt sie nicht rechtzeitig gewarnt hatte. Dafür meldete er sich jetzt mit doppelter Wucht. Erst wurde ihr eiskalt und dann so heiß, als ob sie in Flammen stände.
„Erzählen Sie mir, was Sie auf dem Bild sehen“, forderte Xandro sie gedehnt auf.
Er stand so dicht hinter ihr, dass sie keinen Zentimeter zurückweichen konnte, ohne seinen Brustkorb zu berühren. Natürlich bräuchte sie nur einen Schritt nach vorn zu machen, um der Gefahrenzone zu entkommen … aber das würde ihm nicht entgehen, und sie wollte unter gar keinen Umständen den Eindruck erwecken, als liefe sie vor ihm davon.
„Zu viel“, antwortete sie auf seine Frage.
Warum hatte sie nicht damit gerechnet, ihn heute hier zu treffen? Wo, wenn nicht hier? Natürlich hätte sie wissen müssen, dass man ihn ebenfalls einlud. Wen, wenn nicht ihn?
Er trat neben sie. „Was verbinden Sie mit dem Bild? Eine schmerzliche Erfahrung, oder woran denken Sie, wenn Sie es ansehen? Oder hat es in Ihren Augen eher etwas von einer Warnung?“
„Vielleicht von beidem etwas?“
„Ein besonders erhebender Anblick ist es jedenfalls nicht.“
„Das nicht, aber interessant.“
Seine hochgewachsene, breitschultrige Gestalt erinnerte sie an einen Krieger. Was sie zu der Frage verleitete, ob dieser Körper unter dem teuren Maßanzug tatsächlich so hart und muskulös war, wie er wirkte.
Was sollte das? Irgendwie störte Xandro Caramanis ihren Kunstgenuss.
Kein sehr beruhigender Gedanke.
Sie sollte sich entschuldigen und weitergehen. Diese sinnlose Unterhaltung führte zu nichts. Sie warf ihm von der Seite einen Blick zu – und verwünschte sich prompt dafür. Noch nie hatte sie so faszinierende Gesichtszüge gesehen.
„Sie sehen gestresst aus“, stellte er fest.
„Danke, dass Sie sich Gedanken um mein Wohlbefinden machen.“
„Haben Sie etwas dagegen?“
„Gar nicht.“
Sein leises Auflachen war kaum hörbar. „Kommen Sie mit, ich lade Sie zum Essen ein. Ich wette, Sie haben heute noch nichts gegessen.“
Sie dachte an die Banane, die sie hastig mit ein paar Schlucken Mineralwasser hinuntergespült hatte, während sie mit dem Aufzug in ihre Tiefgarage gefahren war. Und hier hatte sie ein Glas Orangensaft, zwei Schlückchen Champagner und ein paar winzige Häppchen zu sich genommen. Eine richtige Mahlzeit sah anders aus.
Was war so
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