Julia Extra Band 0300
festhalten würde. Oder ein Opfer sein würde.
Dann würde sie frei sein von einem Mann, der seine Geliebte geschwängert hatte und sich widerwillig, aber verantwortungsvoll bereiterklärte, sie zu heiraten.
Nun, das Opfer war gebracht worden, und sie war wieder frei. Doch von ihren Schuldgefühlen würde sie niemals frei sein.
Wäre das Baby am Leben geblieben, hätte sie es zumindest in eine liebevolle Familie geben wollen. Mehr hätte sie ihrem Kind nicht bieten können …
Schuldgefühle bestürmten Carrie dennoch von allen Seiten. Sie fühlte sich schuldig, weil sie so lange geleugnet hatte, was sie für Alexeis gewesen war. Weil sie schwanger geworden war und eine Fehlgeburt gehabt hatte.
Mit den Schuldgefühlen und der Scham kamen jedoch auch die Erinnerungen. Verräterische, quälende Erinnerungen, die Carrie einfach nicht verdrängen konnte. Alexeis, der sie mit seinem funkelnden Blick ganz schwach vor Sehnsucht machte. Alexeis, der sie verlangend an sich zog, sie zärtlich an sich drückte, ihr sanft übers Haar strich. Alexeis, immer Alexeis. Bilder in ihrem Kopf. Bei Tag und bei Nacht, aber besonders nachts. In ihren Träumen.
Drei Nächte waren vergangen, seit Carrie nach London zurückgekehrt war. Und in jeder Nacht hatte sie Träume gehabt, die sie mit Scham erfüllten. Die ihr zeigten, wie tief sie gesunken war.
Sie wusste doch, was sie Alexeis bedeutete hatte! Wie konnte sie trotzdem noch so sehnsuchtsvoll von ihm träumen?
Dass sie ihr Baby verloren hatte, würde ihr für den Rest ihres Lebens Kummer bereiten. Aber sie musste doch froh sein, dass Alexeis nicht mehr da war. Froh, dass ihr die Augen geöffnet worden waren.
Nur empfand sie keine Freude.
Es spielte keine Rolle, was sie fühlte oder nicht fühlte. Sie musste mit ihrem Leben weitermachen. Sich wieder mehr schlecht als recht durchschlagen zu müssen, war ihr sogar angenehm. Es beanspruchte ihre Zeit, ihre Kraft und ihren Geist. Und mit jedem Tag, der verging, rückte die Vergangenheit weiter weg.
Zumindest hatte sie ihr Einzimmerapartment noch, so winzig es auch war. Die Miete war im Voraus bezahlt worden, bevor Carrie London verlassen hatte. Und dann noch einmal, während sie mit Alexeis in Amerika gewesen war. Aber die nächste Zahlung war nun fällig, deshalb hatte sich Carrie gleich am Tag nach ihrer Ankunft in London bei der Job-Agentur gemeldet.
Keine Sekunde lang bereute sie es, den Scheck nicht eingelöst zu haben, der ihrem Flugticket beigefügt gewesen war.
„Um dich über Wasser zu halten“, hatte Alexeis geschrieben. Carrie hatte den Scheck zerrissen. Sie hatte lange genug von Alexeis gelebt … sich ihren Unterhalt in seinem Bett verdient. Jetzt würde sie ihr Geld wieder ehrlich verdienen. Die Jobs waren langweilig, ermüdend und schlecht bezahlt, doch sie musste ja nur bis zum Ende des Sommers durchhalten.
Bis dahin arbeitete Carrie tagsüber als Empfangsdame und abends wieder als Kellnerin. Wenn sie inmitten der Menschenmassen, des Lärms, des Verkehrs und in dem Gehetze der Großstadt London plötzlich von einer in der strahlenden Sonne schimmernden weißen Terrasse träumte, von einem azurblauen Meer, dann verdrängte Carrie die Vorstellung schnellstmöglich.
Stattdessen beschwor sie andere Erinnerungen herauf. Das Schlafzimmer des Strandhauses – das Boudoir eines Flittchens. Das Esszimmer in der Villa – die verdiente Strafe eines Flittchens.
Immer öfter drängte sich jedoch eine weitere Erinnerung auf. An einen Ort, an den Carrie lange Zeit nicht hatte denken wollen. Eine ruhige, von Bäumen gesäumte Straße, in der große viktorianische Häuser standen, deren Gärten an Felder grenzten. Ein Fluss, der sich durch die Felder und die Stadt schlängelte. Gediegen und wohlhabend, vertraut und heiß geliebt.
Schmerz und noch mehr Schuldgefühle befielen Carrie.
Hatte sie sich deshalb so bereitwillig mitreißen lassen? Nicht nur wegen des Glamours und der Romantik, sondern weil die Beziehung zu Alexeis sie von ihrem Verlust und von ihrem Kummer abgelenkt hatte?
Und wenn es so gewesen war? Der Versuch, daraus eine Entschuldigung zu basteln, setzte sie nur noch mehr herab. Selbstvorwürfe waren allerdings sinnlos. Sie musste sich mit dem abfinden, was passiert war, und ihr Leben weiterführen. Immer einen Tag nach dem anderen. Dieser stumpfsinnige Trott würde nicht ewig dauern.
Und das Ende kam früher, als Carrie zu glauben gewagt hatte. Auf dem Weg zur Arbeit entdeckte sie eines Tages einen
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