Julia Extra Band 0301
sozusagen aus dem letzten Loch, und sie hatte schon befürchtet, es würde die ungefähr zwanzig Kilometer von York hierher nicht schaffen.
Hoffentlich hielt es noch den einen Monat durch! Warum Tyler Watts kein Apartment in der Stadt hatte, ging über ihr Verständnis.
Natürlich macht ein altes Herrenhaus mehr Eindruck, überlegte sie dann. Es war wirklich ein besonders schönes Gebäude im eleganten georgianischen Stil des frühen neunzehnten Jahrhunderts. Eine Freitreppe führte zu einem säulengeschmückten Eingang, die hohen, weiß gestrichenen Sprossenfenster fügten sich harmonisch in die schön proportionierte Fassade ein.
Solche Häuser kannte Mary nur von Fotos in den Schaukästen exklusiver Immobilienmakler – oder von Besichtigungen bei Ausflügen. Es kam ihr beinah unglaublich vor, dass man darin tatsächlich wohnen konnte. Außer, man hieß Tyler Watts. Ob er es gekauft hatte, weil es ihm gefiel? Oder war es nur Symbol seines Aufstiegs?
„Guten Tag. Sie müssen Mary Thomas sein!“ Eine nett aussehende Frau hatte die Tür geöffnet und kam die Stufen herunter, während Mary ihre kleine Tochter aus dem Kindersitz hob. „Ich bin Mrs. Palmer, die Haushälterin“, stellte sie sich dann vor.
Damit hätte ich rechnen können, dachte Mary und reichte der Frau die Hand. Wahrscheinlich beschäftigte Tyler ein ganzes Heer diensteifriger und unterwürfiger Lakaien.
„Ja, ich bin Mary, und das ist Bea.“
„Herzlich willkommen auf Haysby Hall“, sagte Mrs. Palmer freundlich. „Mr. Watts ist noch nicht hier. Er kommt meistens erst, wenn ich schon weg bin.“
„Oh!“ Mary war seltsam enttäuscht, ihn nicht anzutreffen. „Sie wohnen also nicht hier?“
„Richtig. Ich wohne im Dorf, da Mr. Watts Wert auf Ungestörtheit legt.“
Dann hat er bestimmt keine große Schar Dienstboten, dachte Mary und fragte sich, wie oft sie ihn noch falsch einschätzen würde.
Sie sollte also einen Monat allein mit ihm hier verbringen. Das hatte sie nicht erwartet! Aber man würde ja sehen …
„Stört es Sie, wenn ich die Küche benutze?“, erkundigte Mary sich, als sie mit Mrs. Palmer ins Haus ging. „Ich muss Essen für Bea bereiten, und ich koche überhaupt gern.“
„Kein Problem“, versicherte die Haushälterin. „Mr. Watts hat gesagt, Sie können hier schalten und walten, als wäre es Ihr Haus.“
Sie führte Mary in ein behagliches Gästezimmer mit eigenem Bad und einem kleinen Nebenraum, der für Bea hergerichtet war.
Nachdem Mrs. Palmer nach Hause gegangen war, verbrachte Mary eine angenehme Stunde damit, sich mit dem Haus vertraut zu machen. Es war makellos eingerichtet, offensichtlich von einem teuren Innenarchitekten, der ein unbegrenztes Budget zur Verfügung gehabt hatte. Es wirkte aber seltsam unbewohnt, beinah wie ein Musterhaus für Herrensitze. Kein einziger Raum wies eine persönliche Note auf – abgesehen von dem Gästezimmer, in dem nun Beas Sachen herumlagen.
Mary begann, die Sachen wegzuräumen. Danach badete und fütterte sie Bea und brachte sie ins Bett, aber noch immer war nichts von Tyler zu sehen, obwohl es mittlerweile schon dunkel war.
Mary war beinah ein bisschen gekränkt. Sie nahm ein Bad und zog sich anschließend einen weiten Rock an, dazu ein Spitzentop und eine weiche altrosa Wickeljacke. Dann hörte sie, während sie gerade Lippenstift auftrug, ein Auto vorfahren und anhalten und blickte nach draußen.
Im Licht, das durch die hohen Fenster im Parterre fiel, sah sie einen silberfarbenen Porsche neben ihrer „Rostlaube“ stehen. Tyler stieg aus und kam ins Haus. Die schwere Tür fiel hörbar ins Schloss.
Danach herrschte Stille. Kein Ruf drang nach oben, wo sie denn stecke, kein „da bin ich“. Falls es ihn interessiert, ob ich gut angekommen bin, verbirgt er das bewundernswert, dachte Mary ironisch und blickte auf die Uhr. Schon halb neun!
Sie presste die Lippen zusammen und ging in den Flur. Dort lehnte sie sich über die reich geschnitzte Balustrade und blickte in die weitläufige Eingangshalle. Unten stand Tyler und sah seine Post durch.
Anscheinend hatte er etwas gehört, denn er schaute nach oben. „Ach, da sind Sie ja, Mary!“ Er nahm seine Briefe und wandte sich seinem Arbeitszimmer zu. „Ich muss noch einige Anrufe machen, dann kümmere ich mich um Sie, okay?“
„Nein, es ist nicht okay“, erwiderte sie und ging nach unten.
„Was ist nicht in Ordnung?“, hakte er verblüfft nach.
„Ihr Benehmen“, antwortete Mary kurz und
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