Julia Extra Band 0301
es ist schon halb elf, und ich dachte, du würdest dich gern überzeugen, dass es deiner Tochter gut geht.“
„Da sie bei meiner Mutter ist, bezweifle ich das nicht“, erwiderte Mary, in ebenso gestelztem Stil.
Insgeheim war sie froh, nach Hause fahren zu können. Der Abend war anstrengend gewesen. Es grenzte an harte Arbeit, so zu tun, als sprühte man vor guter Laune, nachdem man überwältigend geküsst worden war. Von einem Mann, der das nur als Training angesehen hatte – und den man den Rest des Abends überzeugen musste, dass der Kuss einem ebenso wenig bedeutet hatte wie ihm.
Jetzt war Mary müde und angespannt, und sie wusste nicht, ob sie Tyler lieber verprügeln oder sich ihm an den Hals werfen wollte. Oder in Tränen ausbrechen … Sie konnte Tyler nicht einfach stehen lassen, denn er hatte einen Firmenwagen mit Chauffeur angefordert, der sie nach Haysby Hall bringen würde, nachdem sie Bea abgeholt hatten.
„Und?“, fragte Mary, gespielt munter, als sie wartend vor der Merchant Adventurerers’ Hall standen. „Wie bist du mit Fiona ausgekommen?“
„Gut“, erwiderte er einsilbig.
„Findest du sie nicht auch sehr hübsch?“
„Ja, sie ist auffallend attraktiv.“
„Hast du dich mit ihr verabredet?“
„Ich habe ihr gesagt, ich rufe sie an“, erwiderte Tyler mürrisch. Das war ja das reinste Kreuzverhör!
„Dann solltest du versuchen, am Telefon einen besseren Eindruck zu machen als heute Abend“, empfahl Mary ihm unverblümt.
Er funkelte sie an. „Was habe ich denn schon wieder falsch gemacht?“
„Mal sehen!“ Sie tat so, als überlegte sie gründlich. „Du hattest schlechte Laune, warst distanziert und unfreundlich, außerdem schienst du nicht das kleinste bisschen an Fiona interessiert zu sein.“
„Natürlich war ich das“, widersprach er, obwohl es eine Lüge darstellte. „Ich habe ihr doch gesagt, ich rufe sie an.“
„Und ich wette, sie erwartet nicht, von dir noch mal zu hören. Du hast einfach nicht die richtigen Signale ausgesendet.“
„Unsinn!“
„Doch, im Ernst! Du hast nicht einmal gelächelt. Um Interesse zu bekunden, hättest du ihr Fragen stellen, Blickkontakt halten und sie ab und zu sogar leicht berühren sollen. Aber du hast nur mit grimmigem Gesicht dagestanden.“
„Trotzdem hat sie mir ihre Visitenkarte gegeben“,hielt Tyler pikiert dagegen.
„Vom Austausch der Visitenkarten bis zum Tausch der Ringe ist noch ein weiter Weg“, meinte Mary spöttisch. „Als ersten Schritt würde ich dir eine Verabredung empfehlen, bei der du dich mehr anstrengst. Wenn ich aber Fiona wäre, würde ich auf jemanden warten, mit dem man mehr Spaß hat!“
Natürlich war sie nicht Fiona, und das war ihr Problem – abgesehen davon, dass sie, Mary, gar keinen amüsanteren Mann wollte, sondern lediglich Tyler.
Nun konnte sie nur hoffen, ihre Gefühle so bald wie möglich zu überwinden – und dass Fiona Tylers Einladung ablehnen würde.
Das tat Fiona leider nicht!
Schon am folgenden Tag kam Tyler abends nach Hause und verkündete, er würde am Freitag mit Fiona essen gehen. Marys Kritik hatte ihm keine Ruhe gelassen, deshalb hatte er es gleich vormittags mit der Einladung versucht. Fiona hatte tatsächlich – wie Mary vorausgesagt hatte – überrascht geklungen, dann aber erfreut zugesagt.
„Oh, gut“, meinte Mary und rührte im Topf auf dem Herd. „Dann brauche ich morgen Abend nicht für dich zu kochen.“
„Stimmt!“ Tyler hob Bea hoch, die herrisch die Arme nach ihm ausstreckte, weil sie von ihm beachtet werden wollte. Sie lächelte strahlend, sobald sie ihren Willen durchgesetzt hatte, und stieß mit der Stirn gegen seine beim Versuch, ihn zu küssen. Tyler fiel ein, dass er morgen darauf verzichten musste. Morgen gab es für ihn keine warme, behagliche Küche, kein lächelndes Baby – und keine Mary.
Heute trug sie wieder die üblichen Sachen: eine weite Hose und eine lockere Strickjacke, die überhaupt nicht sexy waren, aber sie sah ungewohnt chic aus. Wahrscheinlich lag das an dem neuen Haarschnitt.
Plötzlich wünschte Tyler, sie würde ihre formlosen Sachen tragen. Sie würde sich umdrehen und ihn endlich anlächeln. Er wünschte, er müsse morgen Fiona nicht zum Essen ausführen. Schlagartig wurde ihm klar, dass er einen schweren Fehler machte.
„Mary …“, begann er drängend, aber in genau dem Moment hatte sie sich umgedreht und auch zu sprechen angefangen.
Wie in solchen Situationen üblich, folgte eine Pause der
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