Julia Extra Band 0301
stehen sah. Von all den Menschen, die Tara damals kennengelernt hatte, war die exzentrische Dozentin für Historische Architektur ihr immer eine der liebsten gewesen.
Nach der herzlichen Umarmung gestand Marian, dass sie zuerst beim Schloss gewesen war. „Ich konnte nicht widerstehen“, meinte sie mit verschmitzt funkelnden Augen. Lucien hatte sie dann im Garten gesehen und ihr einen Wagen mit Chauffeur gestellt, der sie hierhergebracht hatte.
„Es ist umwerfend!“ Marian studierte die Wände genauestens. „Was für eine großartige Möglichkeit du mir hier bietest. Es gibt so viele wunderbare alte Häuser in Ferranbeaux … Hat man solche Steine nicht im dreizehnten Jahrhundert für die Katapulte benutzt?“, fragte sie versunken in den Raum hinein und kratzte ein wenig an der Wand.
„Woher sollte ich das wissen?“, meinte Tara antworten zu müssen.
„Als du anriefst und sagtest, du müsstest mir etwas Interessantes zeigen, da ahnte ich ja nicht …“ Aufgeregt wandte Marian sich zu Tara um. „Sag nur nicht, der Graf und du …“
„O nein, ganz und gar nicht.“ Tara gab sich größte Mühe, so ernst wie möglich zu wirken. „Ich hole dich doch nicht den weiten Weg hierher, nur um deine Meinung über den Grafen zu hören.“
„Zu schade aber auch.“ Die ältere Frau blinzelte ihr lachend zu.
Bei seinem zweiten Besuch brachte Lucien einen Picknickkorb mit. In einer kurzen Woche würde sich wohl kaum so viel getan haben, dass Tara Lunch für sie beide zubereiten konnte.
Und wieder einmal bewies sie ihm, dass er sich irrte.
„Du wirst ein paar Änderungen bemerken“, meinte sie, als sie vor ihm die Treppe hinaufging.
Ein paar Änderungen?!
Was Tara in ihrer zweiten Woche mit der Hilfe von einigen Handwerkern erreicht hatte, war nicht anders als ein Wunder zu bezeichnen. Der große Raum, vor nicht allzu langer Zeit noch wenig verheißungsvoll, war völlig verändert. Die Wände waren neu verputzt, statt der nackten Glühbirne hing eine aparte Lampe von der Decke. Der Holzboden war abgeschliffen und versiegelt worden, dicke Teppichläufer und geschmackvolle Vorhänge setzten Farbakzente. Sofas waren um den gereinigten und mit Messingrahmen abgesicherten offenen Kamin gestellt, von farbenfrohen Überwürfen einladend gemacht. Auf dem Kaminsims standen gerahmte Fotografien von Poppy, und auf den Fensterbänken wetteiferten üppige grüne Zimmerpflanzen in hübschen Tontöpfen um Aufmerksamkeit.
„Das ist ja wirklich beeindruckend“, lautete Luciens Urteil.
„Freut mich, dass es dir gefällt“, erwiderte sie lächelnd.
Tara hatte diese halb zerfallene Wohnung in ein echtes Zuhause verwandelt. Woher hatte sie nur das Geld dafür? Wieder einmal fragte er sich, ob sein Misstrauen vielleicht genetisch bedingt war. „Wie hast du …“
Er brauchte nicht weiterzureden, sie kannte ihn schon gut und wusste, worauf er hinauswollte. „Des einen Ramsch ist des anderen Rarität. Und so bin ich während meiner Suche nach Informationen für die KITA auf die Idee gekommen, eine Trödelbörse zu veranstalten. Das hat geholfen, die Mittel für das eine oder andere, was für die Renovierung nötig ist, aufzutreiben.“
„Eine Trödelbörse?“ Er lachte erstaunt auf. „Tara Devenish, das muss man dir lassen! Du bist auf dem besten Weg, Jungunternehmer zu werden!“
„Ich bin nur praktisch veranlagt. Und sieh nicht so erstaunt drein. Ich bin schließlich nicht mit dem goldenen Löffel in der Wiege geboren worden.“
„Ich auch nicht“, rief er ihr in Erinnerung.
Sie hatte ein Festmahl vorbereitet, was er ebenfalls nicht erwartet hatte. Der Picknickkorb war also völlig unnötig, es berührte ihn mehr, als er in Worte fassen konnte. Sie hatte sogar einen Kuchen gebacken.
„Lass deinen Korb nur hier“, sagte sie, als die Bemerkung über das unnütz mitgebrachte Essen fiel. „Dann kann ich sicher sein, dass du wieder herkommst.“
„Ich komme auf jeden Fall zurück“, erklärte er lächelnd.
Vor kurzem noch wäre das das Stichwort gewesen, dass er sich zu ihr beugen und sie küssen würde, doch etwas hatte sich geändert. Es war, als würden sie ganz neu beginnen. Lucien wollte dieses Bewusstsein festhalten, er war neugierig, wohin es sie beide führen würde. Er hatte Tara sogar noch mehr unterschätzt als gedacht, nur langsam wurde ihm klar, wie groß sein Irrtum war.
„Ich habe übrigens mit deiner Mrs. Digby geredet …“, erwähnte Lucien, als sie gemeinsam das Geschirr
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