Julia Extra Band 0302
gewesen war. Im Gegenzug nahm sie sich so viel von den reichen Männern, wie sie bekommen konnte …
Ich wollte nie so von Carla denken. Es war immer zu schmerz lich. Aber Nikos sieht sie so … aus seinem Blickwinkel …
Traurig hängte sie das Kleid auf den Bügel und strich die Falten glatt. „Ich werde es nicht anziehen“, sagte sie leise.
„Nein, zieh es an“, zischte er. „Und dann schau in den Spiegel, und du wirst erkennen, wie du wirklich bist. So wie deine Schwester – nach außen hin wunderschön, aber innen …“
Für einen Moment brannte sich sein Blick in den ihren, dann verließ er ohne ein weiteres Wort den Raum.
An diesem Tag konnte sie ihre trüben Gedanken nicht abschütteln. Nikos hatte ihr den Schleier weggerissen, den sie über die Erinnerung an ihre Schwester gebreitet hatte. Sie wusste, was sich darunter verbarg, doch sie hatte es nicht wahrhaben wollen, um Carlas Andenken nicht zu beschmutzen.
Kein Wunder, dass er sie so sehr hasst.
Die Worte verfolgten sie, auch wenn sie verzweifelt versuchte, nicht hinzuhören.
Trotzdem versuchte sie ihr Bestes, indem sie sich mit Ari beschäftigte, dessen Aufregung von Stunde zu Stunde größer wurde. Später wurde sie von Tinas Familie abgelenkt und von der großen Gesellschaft beim Abendessen. Sie hielt sich zurück und war froh, dass alle Aufmerksamkeit bei Tina lag.
Der nächste Tag verlief ähnlich. Wie Ann nicht anders erwartet hatte, war Mrs. Theakis eine ausnehmend freundliche Gastgeberin. Allerdings musste Ann anerkennen, dass ihr Sohn ihr darin in nichts nachstand. Er war so herzlich und zuvorkommend, wie ein Gast es sich nur wünschen konnte – ohne jede Spur von Arroganz oder Herablassung.
Ann ertappte sich dabei, wie sie ihn beobachtete. Sie redete sich ein, dass es nur aus Vorsicht geschah, damit sie ihm nicht zu nahe kam. Doch sie wusste, dass es mehr als das war. Ihn so entspannt reden und sogar lachen zu sehen, bedrückte sie nur noch mehr.
Bewusst hielt sie sich im Hintergrund und beteiligte sich nicht an dem Gespräch. Das ging so lange gut, bis Tinas Mutter sie ansprach. „Meine Tochter ist sehr erleichtert, dass sie hier sind, Ann, weil Ari dann abgelenkt ist, wenn sie uns verlässt.“
Ann lächelte ein wenig bedauernd und versicherte sich, dass Ari sie nicht hören konnte, ehe sie erwiderte: „Tina muss sich keine Sorgen machen. Ari wird sich daran gewöhnen, dass sie fort ist. Kinder in dem Alter passen sich sehr schnell neuen Gegebenheiten an.“
„Hoffentlich haben Sie recht“, meinte Tinas Mutter zweifelnd.
„Ich habe meine Mutter im gleichen Alter wie Ari verloren, mit vier Jahren“, erklärte Ann beruhigend. „Meine Erinnerungen an sie sind vor allem die meiner Schwester, die mir viel von meiner Mutter erzählt hat. Für Carla war es viel schlimmer. Sie war fast neun und hat den Tod unserer Mutter nur schwer verkraftet.“
„O Gott, wie traurig. Und für Ihren Vater war es sicher auch schrecklich.“
„Mein Vater hat uns verlassen, als ich auf die Welt kam“, erwiderte Ann.
„Das muss ja furchtbar für sie beide gewesen sein, so ganz allein. Was ist denn mit Ihnen danach passiert?“
Ann hätte sich am liebsten all den Fragen entzogen, doch da Tinas Mutter echtes Interesse zeigte, antwortete sie: „Wir kamen zu Pflegeeltern. Gott sei Dank konnten Carla und ich zusammenbleiben, obwohl das nicht immer der Fall ist, wenn Kinder in Pflege gegeben werden.“
Tinas Mutter lächelte mitfühlend.„Sie müssen Ihrer Schwester sehr nahegestanden haben.“
„Das stimmt.“
Unfähig, weiterzusprechen, schaute Ann zur Seite und begegnete Nikos’ Blick. Mit seltsamem Ausdruck sah er sie an.Sofort wandte sie sich ab und merkte erleichtert, dass Mrs. Theakis das Gespräch wieder aufnahm.
Tinas Hochzeitstag war ein wunderschön warmer Sonnentag, und die Villa mit ihren herrlichen Gärten bildete eine märchenhafte Kulisse. Die standesamtliche Trauung hatte auf Maxos stattgefunden, danach waren Tina und Sam zur Villa zurückgekehrt. Dort empfingen sie nun auf der großen Terrasse den Segen von Sams Onkel, einem Geistlichen der Anglikanischen Kirche. Ann sah, wie Sam schließlich Tinas Gesicht zärtlich umfasste und sie küsste. Auf seiner Miene lag die gleiche Liebe und das Glück, das sich auch in den Augen seiner Braut widerspiegelte, doch in Ann stiegen Tränen auf. Verstohlen wischte sie sie fort. Einen Moment später drückte ihr jemand schweigend ein seidenes Taschentuch in die Hand.
„Meine
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