Julia Extra Band 0303
dass dies kein Traum war? Möglicherweise würde sie ihm dann die Augen auskratzen!
Plötzlich kam ihm eine ziemlich verwegene, dafür umso erfreulichere Idee. Beruhte Kirstens kratzbürstiges Verhalten vielleicht darauf, dass sie, ebenso wie er, diese unglaubliche erotische Anziehungskraft zwischen ihnen spürte und sich dagegen wehrte, weil … weil? Ja, warum eigentlich?
Damit war er wieder am Ausgangspunkt seiner fruchtlosen Überlegungen angekommen.
Kirsten streckte und dehnte sich inzwischen wohlig, bevor sie die Augen ganz aufschlug.
„Oh, tut mir leid … Eure Lordschaft. Ich muss kurz eingeschlafen sein“, murmelte sie gedämpft und betastete ihre Unterlippe. Die unbewusste Geste ließ sein unterdrücktes Verlangen erneut wie eine heiße Flamme auflodern.
„Wir waren doch schon bei Rowe“, erinnerte er sie mit heiserer Stimme. „Und Sie müssen sich nicht bei mir entschuldigen, wenn Sie sich nach einem anstrengenden Tag ausruhen.“
„Jeffrey und Michael?“
„Hocken völlig in Trance vor dem Computer. Ihr Sohn ist ein sehr … anziehendes Kind.“
Mein Sohn , genau so ist es! versicherte sich Kirsten selbst und fühlte die alte Antipathie gegen den Vicomte zurückkehren. Doch gleichzeitig war sie erfüllt von einer Sehnsucht, die nichts mit Jeffrey zu tun hatte. Das waren sicher noch die Nachwirkungen von diesem sonderbaren, wundervollen Traum. Nichts anderes konnte dieses warme Gefühl in ihrem Innern erklären, mit dem sie aufgewacht war.
Im Traum hatte Rowe sie geküsst, und was noch viel schlimmer war … sie hatte seinen Kuss voller Inbrunst erwidert! Aber glücklicherweise nur in ihrer Fantasie! Wahrscheinlich lag es an dem Schock über sein unerwartetes Auftauchen, dass ihre Gefühle plötzlich verrückt spielten. Und dieses seltsame Sehnen richtete sich nur in Ermangelung eines anderen, adäquaten Ersatzes auf den Vicomte de Aragon. Denn was sie für ihn empfand, war nichts als Hass und Verachtung, weil er ihre Schwester und sein Kind so schmählich im Stich gelassen hatte.
Ruhig faltete Kirsten die weiche Mohairdecke zusammen und legte sie zur Seite. Wie nett und fürsorglich von ihm, ging es ihr dabei ungewollt durch den Kopf.
„Ich denke, jetzt haben Sie wirklich mehr als genug Zeit für mich geopfert.“
Rowe betrachtete sie forschend. „Sie haben meine Fußmassage noch gar nicht in Anspruch genommen“, stellte er ebenso ruhig fest.
Kirsten schluckte trocken, immer noch in der Erinnerung an den wundervollen Traum gefangen. Wenn Rowe sich ihr jetzt nähern würde …
„Danke, mir geht es wieder bestens. Ich brauche nichts. Also gibt es keinen Grund, Sie noch länger aufzuhalten.“
Rowe zögerte. „Okay“, gab er schließlich nach. „Aber ich verordne Ihnen für heute Abend ein warmes Fußbad mit Kamille. Und für morgen bequeme Schuhe.“
Beide schauten sie automatisch zu den zierlichen Riemchensandalen mit den mörderischen Absätzen, die sie einfach neben dem Sofa hatte fallen lassen. Dann begegneten sich ihre Blicke und versanken ineinander, bis Kirsten sich einen Ruck gab.
„Ich werde daran denken.“
„Gut, dann sehen wir uns morgen im Büro. Bleiben Sie sitzen, ich finde allein hinaus.“
Kirsten nickte nur stumm. Selbst wenn sie gewollt hätte, würden ihre Beine sie wahrscheinlich gar nicht getragen haben – aber nicht wegen ihrer wunden Füße. Sie fühlte sich vollkommen haltlos angesichts des emotionalen Chaos in ihrem Innern.
Sie musste verrückt gewesen sein, den Vicomte in ihr Haus zu lassen! Was, wenn Jeffrey unabsichtlich etwas gesagt hatte, das Rowe die Wahrheit ahnen ließ? Was war in der Zeit geschehen, als sie geschlafen hatte? War ihm die Ähnlichkeit zu seinem Sohn doch noch aufgefallen?
Kirsten hatte keine Ahnung, aber erst recht keine Chance, ihn zu fragen, wenn sie nicht das Risiko eingehen wollte, sich zu verraten …
5. KAPITEL
Am nächsten Morgen ermahnte Kirsten sich auf dem Weg zu ihrer Arbeit, ihre Professionalität von der Erinnerung an den wundervollen Kuss nicht beeinträchtigen zu lassen. Zumal er nur eine Fiktion war! Trotzdem stellte sie sich immer wieder vor, wie es sein würde, wenn er tatsächlich …
Mittags betrat Rowe ihr Büro, grüßte kurz und legte einen dicken Aktenordner vor sie hin. Ganz tief sog Kirsten den frischen Duft ein, den er von draußen mitbrachte und der sich zusammen mit seinem herben Aftershave zu einem nahezu unwiderstehlichen Aroma vermischte.
„Haben wir eine Verabredung?“, fragte sie
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