Julia Extra Band 0303
lieber nichts. Wenn sie jemandem nicht traute, dann sich selbst. Und schon gar nicht allein mit ihm in der Enge eines Wagens. „Da ich Sie mehrfach während der Formel-1-Rennen beobachten konnte, ist das meine kleinste Sorge“, sagte sie, um von sich abzulenken, und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt, als Rowe daraufhin stehen blieb und sie neugierig musterte.
„Ich dachte, Sie interessieren sich nicht für derartige sportliche Ereignisse.“
„Bin ich kurz in den Sportnachrichten drauf gestoßen …“, brummelte sie, doch so leicht ließ er sich nicht abwimmeln.
„Aber lange genug, um mich trotz Helm zu erkennen? Und das gleich mehrfach?“
Kirsten hüstelte. „Meine Schwester war der eigentliche Fan. Sie hat mich darauf aufmerksam gemacht“, versuchte sie, den Schaden wiedergutzumachen.
„War …?“
Kirsten versuchte, den Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken. „Sie ist vor sechseinhalb Jahren gestorben.“
„Das tut mir leid. Was für ein schrecklicher Verlust für Sie.“
Er hörte sich sogar aufrichtig an, und Kirsten musste plötzlich mit den Tränen kämpfen.
„Sie muss noch sehr jung gewesen sein. War sie krank oder hatte sie einen Unfall?“
Kirsten wich seinem Blick aus. „Es war ein Unfall bei einem Sportereignis. Aber ich möchte nicht darüber sprechen.“ Und schon gar nicht mit dir! hätte sie fast hinzugefügt.
Rowe blieb direkt neben der rauen Sandsteinmauer stehen, die das innere Schlossgelände befriedete. Er legte einen Finger unter Kirstens Kinn, um ihren Kopf anzuheben und in ihre tränenfeuchten Augen schauen zu können. „Das erklärt natürlich Ihren vehementen Widerstand gegen das Rennen“, stellte er ruhig fest. „Ich befürchtete nämlich schon, ich sei das Problem.“
Trotz ihres desolaten Zustands hätte Kirsten fast aufgelacht. Rowe glaubte verstanden zu haben, obwohl er sich täuschte, und gleichzeitig hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen! Aber wie sollte sie ihm diese verworrene Situation erklären, wenn sie selbst nicht mehr wusste, was sie fühlen oder denken sollte?
Kirsten wusste nur eins: Wenn er nicht gleich seine Hand wegnahm, würde sie die Augen schließen und …
Abrupt wandte sie sich um und entdeckte dabei die marode Stelle in der Mauer, die sie bisher der verunglückten Kutsche der verliebten Prinzessin zugeschrieben hatte, bis Rowe diese Illusion mit dem ernüchternden Bericht über seinen wilden Ur-ur-ur-urgroßvater Pierre zerstörte.
„Ich kenne Sie doch so gut wie gar nicht …“ Selbstvergessen betastete sie die bröckelnden Steine. „Und wenn Prinz Maxim nun mal auf unserer Zusammenarbeit besteht …“
„Was ist los? So leicht geben Sie sich doch wohl nicht geschlagen?“, zog Rowe sie auf.
„Ich beuge mich nur der Vernunft“, behauptete sie. „Und ich versuche zu verstehen, was Sie antreibt, sich für derartige Events einzusetzen. Dabei rede ich nicht von dem Hilfsfond.“
„Wovon denn?“
„Warum riskieren Sie zum Beispiel Ihr Leben bei dem Versuch, ein gefährliches mechanisches Geschoss auf einem ebenso gefährlichen Kurs zu bezwingen? Nur um der Welt zu zeigen, wie weit Sie an die Grenzen gehen können?“
Rowe überlegte kurz. „Darauf kann ich nur die gleiche Antwort geben wie Hochgebirgskletterer: Weil der Berg eben da ist. Aber in meinem Fall hat es auch noch persönliche Gründe“, fügte er hinzu, als er ihr zweifelndes Gesicht sah. „Durch … die Ereignisse in meiner Kindheit war ich gezwungen, mir meinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Ich war jung, verletzt und rebellisch, und ich wollte mich beweisen, suchte die ultimative Herausforderung. Mit neunzehn bekam ich die Chance, in den sogenannten Formel-1-Zirkus einzutreten. Bereits nach den ersten Trainingsrunden war ich sicher, meine Berufung gefunden zu haben. Geschwindigkeit ist nicht nur ein Rausch, sondern sie hebt auch jeglichen sozialen Status auf. Auf der Piste hilft dir weder deine Herkunft noch ein Titel, das Rennen zu gewinnen oder am Leben zu bleiben.“
Diese Antwort überraschte Kirsten. Irgendwie hatte sie tatsächlich angenommen, sein Geburtsstatus verschaffe ihm einen gewissen Vorteil, egal in welcher Beziehung. Möglicherweise hatte er ihm ja auch den Zugang zum Rennsport erleichtert, aber der Erfolg hing allein von Rowe selbst ab.
„Und was hat Ihre Familie zu dieser Karrierewahl gesagt?“
Rowe hakte sie so selbstverständlich unter und marschierte weiter, dass Kirsten gar nicht auf die Idee kam, sich dagegen
Weitere Kostenlose Bücher