Julia Extra Band 0303
Stimme klang unnatürlich hoch, fast wie ein Piepsen. Kate schluckte trocken. „Hallo, Noah!“
Er lächelte strahlend. „Hallo, Kate. Meine Frage war eigentlich überflüssig. Ich kenne niemand sonst mit solchen Haaren.“
Rasch kam er auf sie zu, und einen Moment lang dachte sie, er würde sie umarmen. Mit wild pochendem Herzen stellte sie sich vor, wie warm und fest sich seine Brust anfühlen würde, wie glatt die sonnengebräunte Haut über den von harter Arbeit gestählten Muskeln, wie stark die Arme um ihre Schultern.
Und so tröstlich nach der langen, erschöpfenden Reise …
Aber er umarmte sie nicht. Natürlich nicht! In gebührendem Abstand blieb er vor ihr stehen und schüttelte ihr die Hand.
„Was für eine Überraschung, Kate! Eine nette Überraschung, selbstverständlich. Entschuldige, wenn ich ein bisschen durcheinander wirke. Seit Angus’ Tod weiß ich manchmal nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Aber ich freue mich wirklich, dich wiederzusehen.“
„Und ich freue mich, dich wiederzusehen“, erwiderte sie höflich und bemerkte erst jetzt, dass er dunkle Ringe unter den Augen hatte und sein Gesicht etwas hagerer wirkte als früher. „Es war auch für mich ein Schock, zu erfahren, dass Onkel Angus gestorben ist.“
„Ja, das kam alles ganz plötzlich.“ Noah schob die Hände in die Hosentaschen.
Unter seinem forschenden Blick war sich Kate überdeutlich bewusst, dass sie kein überwältigendes Bild bot: die kupferroten Haare feucht und strähnig, die helle Haut noch blasser vor Müdigkeit, die Sachen von der langen Reise zerknittert.
Plötzlich schien auch er zu realisieren, dass er halb nackt war und lächelte entschuldigend. Rasch nahm er sein Hemd von der Lehne des Liegestuhls und zog es an. Dann setzte er sich und schlüpfte mit dem Fuß in den Stiefel.
„Wie du an meinem Zustand sehen kannst, habe ich dich nicht erwartet. Tut mir leid. Die Totenwache hat bis weit in die Nacht gedauert.“
„Totenwache?“, wiederholte sie verwundert.
„Ja, eine alte irische Sitte. Man trifft sich und trinkt ein, zwei Glas auf den Verstorbenen. Oder auch mehr“, füge er hinzu und lächelte reuig. „Wir waren im Pub in Jindabilla. Eine Menge Leute aus dem ganzen Bezirk sind gekommen, um Angus zu verabschieden. Es hätte ihm bestimmt gefallen.“
„Aber …“ Ihre Stimme zitterte. „Aber … soviel ich weiß, hält man die Totenwache doch erst nach dem Begräbnis ab, oder?“
„Ja, das ist so üblich“, bestätigte Noah und rieb sich den Nacken. „Ach, verdammt!“
„Was ist denn?“ Sie überlegte, ob er an einem heftigen Kater litt.
„Du bist zum Begräbnis gekommen, stimmt’s?“
„Ja, sicher. Weshalb sonst?“
„Es tut mir schrecklich leid, Kate, aber die Beerdigung war schon gestern Nachmittag.“
Ungläubig starrte sie ihn einen Moment lang an, dann wandte sie sich um und hielt sich am Verandageländer fest. Heiße Tränen brannten ihr in den Augen. Tränen, die sie nicht unterdrücken konnte. Wieso hatte man nicht auf sie gewartet, wo sie doch den ganzen weiten Weg extra gemacht hatte, um sich von Onkel Angus gebührend zu verabschieden?
„Warum …“, begann sie und presste drei Finger gegen die zitternden Lippen, während sie mit der anderen Hand die Tränen wegwischte, „… warum habt ihr nicht auf mich gewartet?“
„Das tut mir so leid“, sagte Noah ganz sanft. „Aber wir haben nicht gewusst, dass du kommst.“
„Aber ich habe mich doch angekündigt! Telefonisch. Ich habe mit einer Frau hier gesprochen und sie informiert, dass ich mich etwas verspäte, aber definitiv komme“, erklärte sie und biss sich auf die Lippe, um nicht laut zu aufschluchzen.
Noah wusste offensichtlich nicht, wie sehr sie Onkel Angus gemocht hatte. Sie hatte sogar einen bedeutenden Auftrag als Fotografin kurzfristig rückgängig gemacht, um nach Australien zu kommen. Ihr war es eben nicht egal, obwohl ihre Mutter den Tod des einzigen Bruders erstaunlich gleichgültig hinnahm.
„Niemand wird dich dort erwarten“, hatte ihre Mutter sie sogar gewarnt.
Kate war bei ihrem Entschluss geblieben. Ihre Mutter hatte sich schon lange nicht mehr mit Angus verstanden, kein Wunder, dass sie nichts von der weiten Reise zum Begräbnis hielt.
Derek hingegen hatte ihr erstaunlich eifrig zugeredet. Beunruhigend eifrig, wenn Kate es genau überlegte. Und kein Wort, dass er sie vermissen würde – bis sie ihn direkt danach fragte.
Sie hatte sich für den Besuch entschieden, weil ihr daran
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