Julia Extra Band 0309
Sie musste es nie bereuen. Giovanni war ein guter Mann, sie war glücklich mit ihm. Doch ihre Mutter und ihre Schwester konnte sie nicht retten. Trotz ihrer optimistischen Haltung und ihres lebensfrohen Willens starb Olivia im Alter von vierzehn Jahren im Krankenhaus St. Ann in New York, der besten Krebsklinik des Landes. Eine Woche später verstarb Lias zart besaitete Mutter an einer Überdosis Schlaftabletten. Bis heute wusste Lia nicht sicher, ob ihre Mutter die Tabletten mit Absicht genommen hatte oder ob sie nur die Dosis erhöht hatte, um der Trauer für eine ungestört durchgeschlafene Nacht zu entkommen. Lia wollte es auch gar nicht wissen.
Hätte Alexander das Unternehmen ihres Vaters nicht so skrupellos übernommen und Alfred als gebrochenen Mann mit einem Berg von Schulden zurückgelassen, hätten sich vielleicht neue Investoren finden lassen. Vielleicht hätte ihr Vater die Firma retten können, anstatt unter dem Druck zusammenzubrechen. Olivia hätte die experimentelle Therapie weitermachen können und wäre vielleicht geheilt worden.
Vielleicht.
Doch jetzt würde Lia es nie mehr erfahren.
Sie wusste nur, dass ihre Familie noch leben könnte, hätte es Alexander Navarre nicht gegeben.
Hass raste durch ihre Adern, erfüllte ihr ganzes Sein. Sie ballte die Fäuste, sich nicht bewusst, dass sie eine Rosenblüte zerdrückte, bis ein spitzer Dorn sich in ihre Daumenkuppe grub.
Dieser rücksichtslose Mistkerl!
Mit einem unterdrückten Fluch leckte sie sich das Blut vom Daumen.
Lia ging ins Schloss zurück und stellte sich unter die Dusche. Sie musste unbedingt seinen Geruch von sich abwaschen. Verzweifelt versuchte sie, den Gedanken an seinen nackten Körper auf ihrer Haut zu verdrängen, an seine heisere Stimme, wie er ihr zuflüsterte: „Lia, was tust du mir nur an …“
Sie lehnte die Stirn an die kühlen Fliesen. Das Wasser war so heiß, dass es sie fast verbrannte. Doch die Scham und das Schuldgefühl in ihr brannten viel heißer. Indem sie solche Lust in Alexanders Armen empfunden hatte, betrog sie Giovannis Andenken auf die schlimmste Art. Und das ihrer gesamten Familie dazu.
Es war der elendste Moment in ihrem ganzen Leben.
Dachte sie. Doch drei Wochen später fand Lia heraus, dass sie sich geirrt hatte.
Sie war schwanger.
5. KAPITEL
Achtzehn Monate später
Verheiratet.
Alexander konnte es noch immer nicht fassen. Nathan heiratete.
Sie hatten sich auf dem College kennengelernt, damals in Alaska. Fünfzehn Jahre lang hatten sie das Leben ungebundener Junggesellen genossen, beide hatten sie sorgsam darauf geachtet, feste Beziehungen zu meiden, beide waren sie Workaholics und verdienten ein Vermögen, beide hatten sie sich mit einer nie enden wollenden Parade schöner Frauen umgeben.
Und jetzt … Nathan heiratete. Heute.
Alexander saß in der Bar des Cavanaugh Hotels und nippte an seinem Scotch, während er auf den Freund wartete. Still fragte er sich, ob er es Nathan noch würde ausreden können. Vielleicht sollte er ihn beim Arm schnappen und mit ihm zusammen losrennen, bevor es zu spät war.
Alexander rieb sich den Nacken. Die Zeitverschiebung saß ihm in den Knochen. Das Projekt in der Mongolei hatte er gestern beendet, er war erst vor einer Stunde in New York angekommen. Seit anderthalb Jahren das erste Mal wieder in New York. Fast wäre er nicht gekommen. Aber er konnte seinen besten Freund unmöglich allein vor das Erschießungskommando treten lassen.
Noch eine Woche bis Weihnachten. Geschäftsmänner in dunklen Anzügen saßen in der Bar, auch einige Frauen waren anwesend. Manche in klassischen Kostümen, andere in offenherzigen Cocktailkleidern und mit einem sorgfältig aufgesetzten Lächeln auf den sorgfältig geschminkten Lippen.
Es hätte jede andere Nobelbar irgendwo auf der Welt sein können, eigentlich waren sie alle gleich. Alexander hatte für diese Szenerie nicht viel übrig. Nachdenklich sah er auf das Glas in seiner Hand. Der erlesene Scotch war ein Jahr älter als er. Nächstes Jahr wurde er vierzig. Und wenn er sich auch wieder und wieder sagte, dass das Leben immer besser wurde, gab es da manchmal Momente …
Eine vollbusige Blondine lachte perlend auf über etwas, das ein korpulenter Mann mit Glatze zu ihr gesagt hatte. Sie tranken Champagner und taten, als wären sie ganz schrecklich verliebt.
Alles nur Schein. Alles nur aufgesetzt.
Er wünschte, er wäre noch auf der Baustelle in der Mongolei, in dem Zelt mit dem harten Feldbett. Oder in seinem Büro
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