Julia Extra Band 0309
sie zu lieben. Hatte Angst, je wieder jemanden zu lieben, weil sein Herz vielleicht noch einmal in tausend Fetzen gerissen werden könnte.
Die jähe schreckliche Einsamkeit, die er in jener verschneiten Nacht im Norden Kanadas empfunden hatte, überfiel ihn plötzlich wieder. Bilder, wie das Blockhaus lichterloh brannte, blitzten in seiner Erinnerung auf.
„Warte hier“, hatte seine Mutter zu ihm gesagt, nachdem ihr Mann und ihr ältester Sohn sich nicht wie sie ins Freie gerettet hatten. Ihr Gesicht war von Tränen und Rauch verschmiert, als sie ihren Siebenjährigen beschwörend ansah. Zitternd saß er in seinem Pyjama im Schnee. „Ich bin gleich wieder da, Liebling.“
Aber sie war nicht wiedergekommen. Keiner von ihnen. Alexander hatte gewartet, so wie sie es ihm gesagt hatte. Doch als das Feuer immer höher brannte, hatte er ihre Namen gerufen. Er hatte versucht, in das Blockhaus zu kommen, doch die Flammen hatten die Veranda längst in ein Inferno verwandelt. In Panik war er barfuß durch den Schnee die zwei Meilen zum nächsten Nachbarn gerannt.
Sein Leben lang machte er sich Vorwürfe. Es war seine Schuld, dass sie gestorben waren. Er hatte sie nicht gerettet. Vielleicht, wenn er nicht auf seine Mutter gehört und nicht gewartet hätte …Vielleicht, wenn er früher zum Nachbarn gerannt wäre und Hilfe geholt hätte, dann könnte seine Familie jetzt noch leben …
Aber das war unsinnig. Jetzt wurde ihm klar, er wäre nur mit ihnen im Feuer umgekommen, hätte er seiner Mutter nicht gehorcht.
Alexander stand vom Bett auf. Die ganze Zeit über hatte er geglaubt, er wolle keine Familie, kein Zuhause.
Nun, wider Erwarten wollte das Zuhause aber ihn.
Es gab einen Grund, warum die letzten drei Monate die entspanntesten seines Lebens gewesen waren. Ganz gleich, wie oft und wie schnell er auch davongelaufen war, er hatte ein Heim gefunden, ob er es nun wollte oder nicht.
Lia. Ihr weites Herz, ihr Mut, ihre Beharrlichkeit.
Lia und Ruby waren seine Familie. Sie waren sein Zuhause.
Und er bestrafte Lia. Wofür? Weil sie ihm Rubys Existenz verschweigen wollte. Etwas, das maßlose Rage in ihm hatte auflodern lassen. Aber warum?
Lia besaß nicht den geringsten Grund, ihm zu vertrauen. Er hatte ihren Vater in den Ruin getrieben und ihm das Unternehmen genommen, ein Katalysator, der letztendlich zum Tod all ihrer Familienmitglieder geführt und Lia gezwungen hatte, einen alten Mann zu heiraten, den sie nicht liebte.
Herrgott, er hatte ihr von Anfang an offen gesagt, dass er keine Kinder wollte. Doch sobald er die Wahrheit herausfand, quälte er sie mit kalten Küssen und ignorierte sie, obwohl er doch vor ihr auf die Knie hätte fallen und sie anflehen sollen, Rubys Vater sein zu dürfen.
Er hätte sie anflehen müssen, ihr Ehemann sein zu dürfen.
Männer auf der ganzen Welt hätten den rechten Arm gegeben, um Lia zu heiraten, jede Nacht mit ihr im Bett zu liegen, sich ihrer Liebe sicher sein zu können. Und was tat er? Tagsüber hatte er sie links liegen lassen, und nachts hatte er ihren Körper benutzt.
Wie war es überhaupt möglich, dass sie ihn liebte? Was hatte er getan, um ein solches Wunder zu verdienen?
Alexander zog ein T-Shirt und seine Jeans über. Lia hatte monatelang ihren Stolz hinuntergeschluckt, um ihn schließlich offen heraus um seine Liebe zu bitten. Sie hatte ihn gebeten, die schmerzhafte Vergangenheit zu vergessen und von vorn anzufangen. Ein neues Leben, ein neues Zuhause, eine neue Familie.
Und er hatte ihr all ihre Träume gefühllos ins Gesicht zurückgeschleudert.
Er verdiente sie nicht. Hatte sie nie verdient.
Doch er konnte den Rest seines Lebens damit verbringen, es wenigstens zu versuchen.
Hastig rief er Lander an. „Bestell den Helikopter zum Flughafen. Organisiere das schnellste Flugzeug. Falls nötig, leihe irgendwo eines. Finde heraus, wo Lia ist.“
„Das weiß ich bereits“, kam die ruhige Antwort. „In ihrem Schloss.“
Natürlich, in Italien, in ihrem Zuhause. Ihr Heim, das sie ihm angeboten und das er so überheblich abgelehnt hatte.
Er nahm den Schlüssel, den sie ihm gegeben hatte, und verstaute ihn sorgfältig in seiner Jeans.
Sieben Stunden später landete Alexanders Flugzeug auf dem kleinen Privatflughafen in der Toskana. Die Morgendämmerung zog gerade über die grünen Hügel in der Ferne.
Tief sog Alexander die klare Bergluft in die Lungen. Noch herrschte Zwielicht, es roch nach frischem Tau. Ein neuer Frühling. Ein neuer Morgen. Eine neue
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