Julia Extra Band 0309
Chance.
Durch die milde Luft ging er zu dem roten Ferrari, der für ihn an der Landebahn bereitgestellt worden war. Er ließ den Motor aufheulen und fuhr den Wagen bis an seine Grenzen, die Reifen quietschten, als er über die gewundene Autobahn brauste.
Sein ganzes Leben war er immer so schnell wie nur möglich gereist, immer auf der Flucht vor seiner Vergangenheit. Jetzt allerdings versuchte er zum ersten Mal etwas einzuholen.
Schneller … noch mehr Tempo … Mit halsbrecherischer Geschwindigkeit fuhr er von der Autobahn ab und auf die schmale Landstraße auf. Kleine Steine schlugen an den Unterboden, ruinierten wahrscheinlich den Lack des Ferrari, während Alexander mit beiden Händen das Steuer hielt und der gewundenen Bergstraße folgte.
Ein Lächeln spielte um seine Lippen, als er sich Lias Reaktion ausmalte, wenn er sie aufwecken würde. Ihr rabenschwarzes Haar würde wirr sein vom Schlaf. Sie würde die Augen aufreißen, ihn verwundert ansehen und dann lächeln. Dann würde sie sich daran erinnern, dass sie ja wütend auf ihn war, und ihn erst einmal zurechtstutzen.
Doch er würde sie mit einem Kuss zum Schweigen bringen, und er würde nicht aufhören, sie zu küssen, bis sie einwilligte, ihm zu vergeben. Er würde nicht aufhören, bis sie ihm erlaubte, sie für den Rest seines Lebens zu lieben.
Und dann würde er sie lieben, mit schier unerträglicher Zärtlichkeit, während die Sonne über den Hügeln immer höher in den Himmel stieg …
Lia, ich liebe dich.
Lia, verzeih mir.
Lia, ich bin zu Hause …
Als er endlich auf das Schloss zufuhr, hob Alexander den Blick und sah an dem alten Haus empor.
Und trat mit voller Wucht auf die Bremse.
Die Eiseskälte, die ihm schon vor sieben Stunden über den Rücken gelaufen war, fuhr ihm jetzt erneut mit aller Macht bis ins Mark. Aus den Fenstern im zweiten Stock quoll eine dünne Wolke und kräuselte sich in den grauen Morgenhimmel wie gespenstischer Nebel.
Alexander ließ die Schlüssel im Ferrari stecken und rannte auf das Schloss zu. Sein Puls raste, das Herz klopfte ihm bis zum Hals.
Diesen Geruch kannte er.
Rauch.
Die Eingangstür war verschlossen. Mit fahrigen Fingern suchte Alexander nach dem Schlüssel, den Lia ihm gegeben hatte. Den Schlüssel zu ihrem Schloss, in dem sie mit ihm zusammen leben wollte.
Doch seine Finger zitterten zu sehr, er bekam den Schlüssel nicht ins Schloss. In seiner Verzweiflung beschloss er, die Tür einzutreten. Drei, vier Tritte, und das Holz splitterte, die schwere Eichentür gab nach. Er stürmte in der gleichen Sekunde ins Haus, als die Alarmanlage losschlug.
„Lia!“, rief er. „Ruby! Wo seid ihr?“
Er konnte den Rauch riechen, viel stärker als vorher, aber er konnte nicht sehen, woher er kam. Wo war das Feuer ausgebrochen?
Wo war seine Familie?
So schnell wie möglich, rannte er an den exquisiten Antiquitäten vorbei, schlitterte über den polierten Holzboden auf die breite Treppe zu.
„Mr. Navarre?“ Er erkannte Mrs. O’Keefe, die über einen düsteren Seitenkorridor herbeigeeilt kam. Sie trug ein langes Flanellnachthemd, ihr folgte eine ältere Frau mit einer weißen Nachtkappe. „Was ist denn passiert? Der Alarm ist losgegangen …“
„Es brennt!“, stieß er aus.
„Feuer?“ Mrs. O’Keefe schlug sich die Hand an die Brust. „Oh mein Gott! Lia und das Baby …“
„Wo sind sie?“
„Oben, im Familienflügel. Ich komme mit Ihnen …“
„Nein“, widersprach er sofort. „Verlassen Sie das Haus und holen Sie Hilfe. Ist sonst noch jemand im Schloss?“
„Nein, nur wir.“ Mrs. O’Keefe sah zu der Frau neben sich, die in hektischem Italienisch etwas sagte, das Alexander nicht verstehen konnte. Mrs. O’Keefe blickte voller Angst die Treppe hinauf. „Mrs. Navarres Zimmer ist gleich an der Treppe, das Kinderzimmer liegt rechts daneben. Hoffentlich hat der Alarm sie aufgeweckt und sie ist bereits mit Ruby auf dem Weg nach unten …“
„Ja, hoffentlich. Gehen Sie, beeilen Sie sich!“, wies er die Frauen an und rannte die Treppe hinauf, drei Stufen auf einmal nehmend.
Er musste seine Frau und sein Kind finden. Dieses Mal würde er seine Familie retten.
Oder mit ihr zusammen sterben.
Im oberen Stockwerk hing der Rauch in dicken grauen Wolken auf dem Korridor. Alexander stieß die Tür zum Schlafzimmer neben der Treppe auf. Das antike Bett mit dem großen Himmel war leer, Kissen und Decke fehlten.
Hier hatte Lia nicht geschlafen. Dann musste sie bei ihrem Baby sein.
Er
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