Julia Extra Band 0309
Dachterrasse. Vom Stockwerk unter ihr drang fröhliches Lachen herauf. Sie blickte über die Brüstung und sah Corban, Hallie und Nicco, die im Pool planschten. Offensichtlich waren sie von ihrer Europareise zurück.
Kerrys Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Wie glücklich sie aussehen, dachte sie. Und wie groß Nicco geworden ist. Hallie war wieder schwanger, und Corban sah aus, als ob er vor Stolz fast platzte.
Sie wirken wie die reinste Bilderbuchfamilie. Und ich hätte das beinahe alles zerstört.
Sie schluckte schwer, um die Tränen zurückzuhalten. Aber es half nichts. Schluchzend legte sie den Kopf auf die Brüstung.
Theo eilte mit großen Schritten durch das Foyer. Sein Personal hatte ihn wie üblich darüber informiert, dass Kerry wieder im Hotel war, und nun wollte er ihr erzählen, dass Corban und seine Familie zurück waren.
In jedem Fall wollte er verhindern, dass Kerry unvorbereitet auf sie traf und womöglich eine peinliche Situation entstand. Es wäre viel besser, wenn die erste Begegnung in seinem Beisein stattfand, damit er in heiklen Momenten sofort einschreiten konnte.
Leise, da Lucas schlief, ging er durch die Suite auf die Terrasse. Er sah Kerry, die mit dem Rücken zu ihm am Geländer stand. Etwas an ihrer Haltung alarmierte ihn. Er starrte auf die hochgezogenen Schultern, das Beben ihres Körpers …
Sie weint!, dachte er.
„Kerry?“ Obwohl er seine Stimme nicht erhoben hatte, fuhr Kerry erschrocken herum. Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck unermesslicher Trauer.
„Es tut mir so leid“, schluchzte sie. „Theo, ich kann dir gar nicht sagen, wie leid es mir tut, dass ich mich damals eingemischt habe.“
Obwohl die Verzweiflung in ihrer Stimme Theo zutiefst berührte, zwang er sich, dies mit keiner Regung zu verraten. Sie braucht gar nicht zu glauben, dass ich ihr verzeihe. Niemals würde er das tun. Dafür war ihr Vergehen viel zu schwerwiegend. Wie konnte sie ihn nur so hintergehen und seine Schwägerin und seinen Neffen in Lebensgefahr bringen!
„Mein Gott, ich schäme mich so!“ Kerrys Stimme war tränenerstickt. „Wenn ich mir vorstelle, was alles hätte passieren können. Aber du musst mir glauben, Theo, ich wollte nie jemandem schaden. Bitte, Theo, sag doch was!“
„Das ist mir egal.“ Allerdings hatte er sich tatsächlich immer wieder gefragt, was um alles in der Welt Kerry veranlasst haben mochte, hinter seinem Rücken zu Hallie zu gehen. Ihr hätte doch klar sein müssen, dass er nur das Beste für seine Familie wollte. „Mich interessiert vielmehr: Was hat dich bewogen, so zu handeln?“
„Ich habe an meine Mutter gedacht.“ Das war das Letzte, was Theo vermutet hätte. „Und daran, dass sie das umgebracht hat.“
Verblüfft starrte Theo Kerry an. Wovon redet sie denn da? Was hat der Tod ihrer Mutter mit Hallies Autounfall zu tun?
„Sie haben meiner Mutter ihr Kind weggenommen.“ Kerrys Stimme klang so leise, dass Theo Mühe hatte, die einzelnen Worte zu verstehen. „Das Kind war ich . Und das hat meine Mutter nie verkraftet.“
Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen. Nach einer Weile schien sie sich wieder gefasst zu haben und hob den Kopf. Es erschreckte Theo zu sehen, wie mitgenommen sie aussah. Offenbar belastete es Kerry zutiefst, von ihrer Mutter zu sprechen – ja, allein an sie zu denken, schien ihr schon unendlichen Kummer zu bereiten. Denn sie war leichenblass und zitterte am ganzen Körper.
„Komm. Wir gehen hinein. Am besten setzt du dich erst mal hin.“ Theo ging auf Kerry zu und legte ihr eine Hand auf den Arm.
Aber Kerry schüttelte seine Hand ab und wich zurück, als könnte sie es nicht ertragen, von ihm berührt zu werden. Dann ging sie mit unsicheren Schritten, wie jemand, der schwer krank ist, an ihm vorbei und setzte sich auf das Sofa.
Unsicher sah Theo zu ihr. Dann goss er ihr ein Glas Wasser ein und setzte sich neben sie. Er drückte Kerry das Glas in die eiskalten Finger.
Automatisch – als wüsste sie gar nicht, was sie tat – hob Kerry den Arm und trank. Ihr Herz schien zerspringen zu wollen, und ihre Stirn bedeckte kalter Schweiß. Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte sie jemandem von ihrer Mutter erzählt.
Sie wünschte, sie könnte ihre Worte zurücknehmen – was würde Theo von ihr denken, wenn er die Wahrheit über ihre Kindheit erfuhr –, aber nun gab es kein Zurück mehr.
„Meine Mutter war sehr jung, als ich auf die Welt kam. Erst sechzehn.“
Kurz hielt sie inne und blickte prüfend in Theos Gesicht,
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