Julia Extra Band 0315
Vergangenheit passiert ist. Werden Sie das schaffen?“
„Ja“, antwortete Dario. Welche andere Wahl hatte er denn schon? „Kann ich sie besuchen?“
„Verbieten kann ich es Ihnen nicht, aber ich rate dringend davon ab. Ihr Erscheinen könnte Konsequenzen haben, die sich nicht vorhersagen lassen. Halten Sie sich daran fest, dass Sie schon bald wieder zusammen sind und Ihre Beziehung erneuern können.“
„Sicher, das sehe ich ein.“ Er hätte lachen mögen, weil es so weit von der Wahrheit entfernt war. „Und danke für Ihre Zeit.“
„Keine Ursache. Ich wünschte, ich könnte den Angehörigen aller meiner Patienten derart gute Nachrichten überbringen. Ich melde mich bei Ihnen, sobald Ihre Frau entlassen werden kann. Sollten Sie noch Fragen haben, können Sie mich jederzeit anrufen. Viel Glück, Signor Costanzo.“
Dario hängte den Hörer ein und drehte sich grübelnd zum Fenster. Marietta Pavia, das junge Kindermädchen, das er eingestellt hatte, saß mit ihrem Schützling im Schutz des schattigen Gartens und sang dem Jungen vor. Dass eine Ehefrau ihren Mann vergaß, den sie leid geworden war, konnte man noch nachvollziehen, auch wenn es wenig schmeichelhaft war. Doch wie war es möglich, dass eine Mutter jegliche Erinnerung an ihr erstes Kind aus ihrem Kopf und ihrem Herzen löschte?
Eine Stimme, kultiviert und gebieterisch, ertönte hinter ihm und riss ihn aus seinen Gedanken. „Dem, was ich hören konnte, entnehme ich, dass sich ihr Zustand verändert hat.“
Dario wandte sich zu dem Neuankömmling um. In dem eleganten Kleid, das schwarze Haar zu einem klassischen Chignon aufgesteckt, schimmernde Perlen an Hals und Ohren, sah man Celeste Costanzo ihre neunundfünfzig Jahre nicht an, eher hätte man sie für eine gepflegte Mittvierzigerin gehalten. „Du siehst aus, als wolltest du die Mailänder Modewelt im Sturm erobern, Mutter, und nicht auf einer Insel entspannen.“
„Nur weil man auf Pantelleria nicht im Licht der Öffentlichkeit steht, muss man nicht nachlässig werden, Dario – und wechsle nicht das Thema. Was gibt es Neues?“
„Maeve ist aus dem Koma erwacht. Sie wird sich vollständig erholen.“
„Also wird sie leben?“
„Du solltest nicht so enttäuscht klingen“, erwiderte er trocken. „Immerhin ist sie die Mutter deines Enkels.“
„Sie ist eine Zumutung, und ich verstehe nicht, wieso du sie auch noch verteidigst, nach allem, was vorgefallen ist.“
„Wir können nur vermuten, was vorgefallen ist, Mutter. Von den beiden Menschen, die die Wahrheit kennen, ist der eine tot und der andere hat das Gedächtnis verloren.“
„Ah, das ist also ihre Vorgehensweise? Sie erinnert sich nicht daran, dass sie dich verlassen und deinen Sohn mitnehmen wollte?“ Celeste verzog spöttisch den Mund. „Wie praktisch.“
„Das ist lächerlich, Mutter. Maeve ist nicht in der Verfassung für ein solch kalkuliertes Spiel. Ihre Ärzte sind zu erfahren, um auf so etwas hereinzufallen.“
„Du hältst die Diagnose also für gerechtfertigt?“
„Ja. Du solltest das ebenfalls tun.“
„Ich fürchte, das ist mir nicht möglich, mein Sohn.“
„Ich empfehle dir, es noch einmal zu überdenken, wenn du weiterhin in meinem Heim willkommen sein möchtest“, sagte er kalt.
Celestes Teint wurde blasser. „Ich bin deine Mutter!“
„Und Maeve ist meine Frau.“
„Für wie lange noch? Bis sie wieder wegläuft? Bis Sebastiano auf der anderen Seite der Erdkugel aufwächst und einen anderen Mann Papa nennt? Was wird nötig sein, Dario, damit du erkennst, was für eine Frau sie ist?“
„Sie ist die Frau, die meinen Sohn geboren hat“, knurrte er. Der Ärger, der seit Wochen in ihm brodelte, drohte überzulaufen. „Ich erwarte von dir, dass du damit aufhörst, ihre angeblichen Versäumnisse als Ehefrau und Mutter ständig herauszustellen.“
„Das wird auch nicht nötig sein, mein Lieber“, erwiderte seine Mutter ungerührt. „Das übernimmt sie dann schon selbst.“
Jeder in der Klinik, von der Hilfspflegekraft bis zum Professor, kam, um sich von ihr zu verabschieden.
Jeder versicherte ihr, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Sie hatte einen Autounfall gehabt, ihr Erinnerungsvermögen würde mit der Zeit schon zurückkehren.
So wie auch jeder ihre Fragen, wer die Blumen schickte und die Rechnungen zahlte, ignoriert hatte. Als eine Pflegekraft sich verplapperte und einen „er“ erwähnte, da hatte das junge Ding einen Blick von der Oberschwester zugeworfen
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