Julia Extra Band 0316
du denkst schon wieder viel zu weit. Leo hatte sie nur gebeten, mit ihm zu Abend zu essen. Er hatte sie nur einmal geküsst, und doch … wollte sie so viel mehr. Während der vergangenen fünf Jahre hatte es ihr gereicht, sich um ihren Sohn zu kümmern und ihr Geschäft aufzubauen.
Jetzt nicht mehr.
Jetzt wollte sie mehr. Jetzt wollte sie Leo.
Um neunzehn Uhr brachte Phoebe Christian nach oben zu Frances. Das Kindermädchen empfing sie lächelnd. „Sie sehen vielleicht hübsch aus!“ Frances nahm Christians Hand. „Sie haben doch nicht etwa ein Rendezvous?“, fragte sie dann blinzelnd.
„Nur ein Abendessen“, murmelte Phoebe errötend. Was hatten denn alle bloß? Waren ihre Hoffnungen so offensichtlich?
„Na, dann wünsche ich Ihnen viel Spaß. Den werden wir zwei auf jeden Fall haben, was Christian?“
Davon war Phoebe auch überzeugt, und sie verließ die beiden mit gutem Gewissen. Als sie wieder unten in der Halle ankam, geleitete ein Diener sie zu einem privaten Salon im hinteren Teil des Palasts.
Der Mann öffnete die Tür und verschwand, bevor Phoebe den Raum richtig betreten hatte. Doch gleich darauf blieb sie wie angewurzelt stehen. Es war wie bei einem Déjà-vu-Erlebnis. Wie im Konsulat in New York stand Leo am Kamin, neben dem gedeckten Tisch, und trug einen tadellosen Anzug. Die Haare hatte er zurückgebürstet und sah einfach unglaublich gut und verführerisch aus, sodass sie ihn mehr begehrte als je zuvor. Doch auch wenn der Raum sie an New York erinnerte, war die Stimmung eine ganz andere. Sie spürte weder Angst, Empörung noch Zorn, darum ging Phoebe lächelnd weiter.
„Ich hatte gehofft, dass du dir dieses Kleid aussuchen würdest.“
Bei diesen Worten überlief sie ein wohliger Schauer, den sie besonders an ihren bloßen Armen und Schultern fühlte. „Hast du die Kleider ausgewählt?“, fragte sie errötend.
„Gefällt dir mein Geschmack nicht?“
„Doch, doch. Sie waren alle sehr schön.“
Jetzt kam Leo auf sie zu. „Aber das graue passt zu deinen Augen.“
„Das hat Christian auch gesagt.“
„Cleverer Junge.“
Dicht vor ihr blieb Leo stehen, nah genug, dass sie ihn mit ausgestrecktem Arm hätte berühren können, aber für ihren Geschmack immer noch zu weit entfernt. Dabei klopfte ihr Herz wie wild, sodass sie schon glaubte, Leo könnte ihren Herzschlag durch den dünnen Seidenchiffon sehen. Wie gebannt sah sie ihn an – sprachlos, hilflos, weil sie ihm so viel zu sagen hatte, aber nicht wusste, wo sie anfangen sollte. „Ich bin hungrig.“
Leo lächelte, und Phoebe errötete wieder. Der Satz war ihr einfach so herausgerutscht.
„Ich habe auch Hunger“, sagte er. Phoebe wusste, dass er nicht nur das Essen meinte. Er ergriff ihre Hand, schob seine Finger zwischen ihre und zog sie weiter ins Zimmer. Auf seine Berührung reagierte ihr Körper unmittelbar: Ihre Knie wurden so weich, dass sie sich beinah an ihn lehnen musste.
„Leo …“
„Darf ich dir ein Glas Wein anbieten?“
Sie nickte, trank ohne nachzudenken und fühlte sich ganz leicht, wie auf Wolken. Auch wenn sie sich nicht so fühlen sollte. Schließlich ging es heute Abend um die Zukunft, um den Fürsten und seine Pläne mit Christian, und darum, was Leo darüber wusste. Doch plötzlich war all das bedeutungslos angesichts des alles vereinnahmenden Verlangens, das sie für diesen Mann empfand.
„Wollen wir anfangen?“
Phoebe nickte. Während sie zum Tisch ging, spürte sie, wie die Rockbahnen sinnlich um ihre bloßen Beine strichen.
„Darf ich?“ Leo stellte sein Weinglas ab, zog Phoebes Stuhl vor, wartete, bis sie saß, nahm ihre Stoffserviette und legte sie ihr auf den Schoß. Dabei berührten seine Fingerspitzen ihre Oberschenkel, und zwar etwas länger, als nötig gewesen wäre. Phoebe schloss die Augen und genoss es.
Als Leo zu seinem Platz ging, zwang sie sich, die Lider zu öffnen und sich ganz normal zu verhalten. Doch unter dem Tisch berührten sich ihre Knie, und er wich nicht zurück. Das musste aufhören. Es musste richtig anfangen.
„Irgendetwas riecht hier ganz köstlich“, sagte Phoebe, um sich abzulenken.
„Stimmt.“ Leo nahm die Hauben von den Silberplatten. Von dem Hühnchen in Rosmarin ging ein wahrhaft himmlischer Duft aus. Leo legte Phoebe etwas davon auf den Teller, zusammen mit Spargel und Kartoffeln. Dann reichte er ihr den Brotkorb mit frischen Brötchen.
Trotz der köstlichen Speisen auf ihrem Teller schmeckte Phoebe nichts. Sie spürte nur Leos Knie an
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