Julia Extra Band 0318
den Raum selbst meinte, sondern die atemberaubende Aussicht, die sich hinter den hohen Bogenfenstern bot. Tiefschwarz zeichnete sich die Silhouette majestätisch hoher Tannen vor dem dunkelblauen Himmel ab, dem Millionen funkelnder Sterne und eine hell schimmernde Mondsichel eine fast unwirkliche Schönheit verliehen.
Mit einem Anflug von Stolz trat Eduardo neben Marianne. „Ich sagte Ihnen ja bereits, dass die Aussicht Ihnen gefallen würde. Und das ist noch nichts im Vergleich mit dem Anblick bei Tageslicht.“
„Es ist einfach überwältigend!“
Marianne wandte sich ihm kurz zu und schenkte ihm dabei ein so freudestrahlendes Lächeln, dass Eduardo Mühe hatte, seine gleichmütige Fassade beizubehalten. Eine Welle sinnlicher Sehnsucht durchströmte ihn, machtvoll und unberechenbar. Der Grund dafür war einzig und allein dieses bezaubernde Lächeln. Sekundenlang konnte er nichts anderes tun, als dazustehen und ihr fein gezeichnetes Profil anzustarren, während seinen Körper eine Erregung erfasste, wie er sie seit Ewigkeiten nicht mehr empfunden hatte.
Zum Glück war Marianne so tief in die Betrachtung der Landschaft versunken, dass sie nichts von alldem bemerkte. „Es ist, als würden wir uns in einem fernen Königreich befinden“, schwärmte sie mit leuchtenden Augen. „Wie ist es Ihnen nur gelungen, einen solchen Ort zu finden?“
„Meine Mutter ist in der Nähe aufgewachsen. Als Kind bin ich manchmal mit ihr hierher gereist, und als ich beschloss, ein Haus in England zu kaufen, wusste ich, dass es in dieser Gegend sein musste. Ich hatte vorher schon einige andere Anwesen besichtigt, aber als ich dieses sah, war mir sofort klar, dass ich das Richtige gefunden hatte.“
„Es ist sehr abgelegen“, bemerkte Marianne. „Als Ricardo mich hierher gefahren hat, habe ich meilenweit kein anderes Haus gesehen.“
„Heißt das, dass es für Ihren Geschmack zu einsam liegt?“
„Absolut nicht! Ich bin zwar gern mit anderen Menschen zusammen, aber ich würde verrückt werden, wenn ich nicht genug Frieden und Ruhe hätte, um mein inneres Gleichgewicht wiederherzustellen. Wissen Sie, was ich meine?“
„Allerdings, sonst würde ich kaum hier leben.“ Mit einem zögernden Lächeln deutete Eduardo auf die beiden lederbezogenen Armsessel vor dem Kamin. „Wollen wir unser Gespräch nicht lieber im Sitzen weiterführen?“
Nachdem sie Platz genommen hatten, beobachteten sie eine Weile in einträchtigem Schweigen die hell lodernden Flammen. „Ist Ihnen warm genug?“, erkundigte Eduardo sich schließlich. Doch im Grunde widerstrebte es ihm, die friedvolle Stille zu unterbrechen.
Marianne hob den Kopf und blinzelte, als wäre sie mit ihren Gedanken ganz woanders gewesen. „Oh ja, vielen Dank.“ Nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: „Ich nehme an, Sie fragen sich, warum ich meine Meinung bezüglich Ihres Angebots geändert habe.“ Ihre schlanken Hände bewegten sich unruhig in ihrem Schoß. „Wissen Sie, ich war drei Tage lang eingeschneit und hatte sehr viel Zeit zum Nachdenken. Die Musik bedeutet mir zwar immer noch mehr als alles andere, aber mir ist klar geworden, dass ich in meinem Leben dringend eine Veränderung brauche. Und da habe ich mir überlegt … also, ich dachte, ich könnte vielleicht …“
„… auf mein Angebot zurückkommen?“, kam Eduardo ihr zu Hilfe. Das Kinn auf die zusammengelegten Fingerspitzen gestützt, betrachtete er nachdenklich das feenhafte ovale Gesicht mit den ausdrucksvollen braunen Augen. Dabei gingen ihm tausend Fragen im Kopf herum. Lief sie vor etwas davon? Hatte sie etwas Grausames oder Schmerzliches erlebt, worüber sie nicht sprechen konnte? Missbrauch in einer Beziehung vielleicht oder …
„Ja“, unterbrach Marianne seine Gedanken. „Sie nehmen es mir doch nicht übel, oder?“
„Dann hätte ich Ihnen meine Karte nicht gegeben.“
„Gut, ich wollte nur sicher sein.“
„Darf ich fragen, was Sie vor dem Singen beruflich gemacht haben?“
Wieder richtete Marianne ihre Aufmerksamkeit auf das Kaminfeuer. „Na ja, ich habe vor allem als Verkäuferin gearbeitet. Zuerst in einem großen Bekleidungsgeschäft und später in einer Musikhandlung, die auf Noten und alte Instrumente spezialisiert war.“
„Da müssen Sie ja in Ihrem Element gewesen sein“, bemerkte Eduardo, da Musik ihre Leidenschaft war. So wie sein Beruf es einmal für ihn gewesen war. Aber diesen Gedanken schob er rasch beiseite.
„Ja, das stimmt.“ Unversehens war dieses
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