Julia Extra Band 0326
plötzlich erscheinen ihnen die Dinge in ganz anderem Licht.“ Emily musste feststellen, dass ihr Vater, den sie von jeher bewundert hatte, im Gegensatz zu ihr durchaus bereit war, ein Risiko einzugehen und dem Schicksal zu vertrauen.
„Bist du gegen diese Ehe?“, erkundigte sich Maria.
„Ganz im Gegenteil! Ich habe meinen Vater schon lange nicht mehr so ausgeglichen und zufrieden gesehen, und ich freue mich für ihn. Alice, so heißt seine zukünftige Frau, ist ausgesprochen nett, und die beiden scheinen füreinander geschaffen zu sein. Sie haben die besten Chancen, glücklich zu werden – und das macht auch mich glücklich.“
„Und du? Möchtest du nicht auch irgendwann einmal heiraten und eine eigene Familie gründen?“
„Mal glaube ich es, mal nicht – ich bin mir einfach nicht sicher.“ Emily wunderte sich, wie locker sie mit Maria über diese heiklen Themen zu reden in der Lage war. Das gab ihr den Mut, auch eine für sie heikle Frage zu stellen.
„Und was ist mit Giovanni?“ Sie blickte zu Boden. „Wer ist das Mädchen auf dem Foto in seiner Wohnung, Maria? Sie ist so schön, bestimmt ist sie für ihn eine besondere Frau.“
Maria schien einen Moment lang perplex, doch dann erhellte sich ihre Miene. „Ah, du meinst Paulina. Sie ist Giovannis Frau …“
Emily verstand die Welt nicht mehr. Seine Ehefrau? Wie ihr die Szene im nächtlichen Garten gezeigt hatte, war er Hals über Kopf in sie verliebt! Emily glaubte, verrückt werden zu müssen.
„Giovanni ist verheiratet? Das habe ich nicht geahnt“, antwortete sie schwach.
„Er war verheiratet. Paulina ist vor einem Jahr gestorben, ihre schwere Krankheit hat nur kurz gedauert“, klärte Maria sie auf. „Giovanni erlitt daraufhin einen völligen Zusammenbruch. Glücklicherweise geht es ihm jetzt besser. Auf Anraten seiner Ärzte hatte er sich für ein Jahr ganz aus der Firma zurückgezogen. Ihn so leiden zu sehen, hat mir ins Herz geschnitten, aber jetzt bin ich wieder optimistisch.“
Emily hatte kein Auge für die Schönheiten des Gartens, ihre Gedanken kreisten allein um Giovanni. Warum hatte er sich ihr nicht anvertraut? Weder hatte er ihr von der Ehe noch von dem folgenden Trauma erzählt! Wie konnte ein Mensch nur so verschwiegen sein?
Doch das alles erklärte noch nicht die Anwesenheit der Frau im nächtlichen Garten. Sie musste mehr herausfinden und räusperte sich. „Das alles muss schrecklich für Giovanni gewesen sein, bestimmt hatte er mit Paulina den Himmel auf Erden.“
Jetzt war es an Maria, sich zu räuspern. „Wir kannten Paulina und ihre Familie schon seit Jahren … Ich hielt Paulina für die ideale Ehefrau für Giovanni und wurde nie müde, dies immer wieder zu betonen. Das war bestimmt ein großer Fehler.“ Nachdenklich runzelte sie die Stirn.
„Die beiden waren noch keine zwei Jahre verheiratet, als Paulina krank wurde, doch glücklich schien die Ehe nie gewesen zu sein. Nichts im Leben ist eben vollkommen, alle Dinge haben sowohl gute als auch schlechte Seiten, man muss lernen, damit fertig zu werden.“
Maria hakte sich enger bei Emily ein. Sie mochte diese Engländerin und verstand sehr gut, was Giovanni an ihr faszinierte. Im Gegensatz zu den Frauen, mit denen er normalerweise zu tun hatte, waren für sie materielle Gesichtspunkte nicht ausschlaggebend. Außerdem besaß Emily eine einfühlsame und freundliche Art, die Männer und Frauen gleichermaßen beeindruckte.
Darüber hinaus war sie eine natürliche Schönheit, und damit genau die Frau, die Giovanni verdiente – da war sie sich als Mutter ganz sicher.
Giovanni hatte ihr anvertraut, wie sehr er Emily liebte. Entweder sie als Frau, oder er würde für immer Junggeselle bleiben, das waren seine Worte gewesen. Maria seufzte unwillkürlich. Was aber, wenn Emily ihn weiterhin ablehnte? Dann würde es keine Nachkommen geben, und da Aldo als Erbe ausgeschieden war, würde es das Ende eines Familienunternehmens bedeuten, das nun schon seit drei Generationen so erfolgreich war.
Wieso Emily Giovannis Gefühle nicht erwiderte, war Maria ein Rätsel. Sah Emily denn nicht, was für ein wunderbarer und wertvoller Mensch Giovanni war? Keine Frau konnte sich einen liebevolleren, großzügigeren und treueren Ehemann wünschen.
Später, als sie zu dritt auf der Terrasse saßen und einen Cappuccino tranken, stellte Giovanni fest, wie blass Emily immer noch war. Schon beim Frühstück war ihm das aufgefallen. Sie wirkte übermüdet und bedrückt, und daran
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