Julia Extra Band 0332
Tränen, ihre weichen Lippen zitterten.
Er erinnerte sich gut, wie sie sich angefühlt hatten. Wie sie geschmeckt hatten.
Ja, er hatte May damals gemocht. Sie hatte Mumm und Energie. Trotz der gesellschaftlichen Kluft zwischen ihr und ihm hatten sie auch viel gemeinsam. Er liebte es, ihr mit ihren Schützlingen zu helfen, die sie in einem der alten Ställe betreute.
Coleridge House war schön. Es war sauber, ordentlich und friedlich, ganz anders als die Familienhölle bei ihm in der Sozialwohnung.
May hatte sich die ehemalige Sattelkammer mit einem Tisch und zwei Sesseln eingerichtet. Einen Wasserkocher hatte sie auch besorgt, so konnte sie jederzeit Kaffee oder Tee machen. Meistens gab es dazu sogar Kuchen. Das hatte ihm besonders gut gefallen. Es war so behaglich.
Dass niemand von seinen Besuchen wusste, machte die Sache zusätzlich spannend.
Doch dann war er so unklug gewesen, May zur Schulparty einzuladen.
Daran war Saffy schuld. Sie war ihm, neugierig wie sie war, nachgegangen und hatte herausgefunden, wen er traf. Dann hatte sie ihn erpresst, May zur Party mitzubringen.
Es wurde so schlimm, wie er befürchtet hatte. Die anderen Mädchen trugen hautenge Tops und Miniröcke, May hatte ein schlichtes, biederes Kleid an und war nicht geschminkt. Sie wirkte, verglichen mit den anderen, richtig hausbacken.
Er schämte sich beinah, mit ihr gesehen zu werden, und weil er sich für dieses Gefühl noch mehr schämte, forderte er sie zum Tanzen auf.
Zuerst war es ein Albtraum, denn sie hatte keine Ahnung vom Tanzen. Dann kam zum Glück ein langsames Musikstück, und er nahm sie einfach in die Arme.
Plötzlich war alles wie verwandelt. Ihr Haar duftete nach Blumen, ihr Körper fühlte sich so wunderbar weich und warm an seinem an. Gefühle stiegen in ihm auf, die er lange verleugnet hatte. Ja, er mochte May nicht nur, er war in sie verliebt!
Das war der Grund, warum er sie immer wieder besuchte, deshalb riskierte er, vom Gärtner oder von der Haushälterin ertappt zu werden.
Mays Haut war so glatt und zart, dass er sie unbedingt berühren wollte. Der Blick in ihren großen Augen, die im dämmrigen Licht ganz dunkel wirkten, verriet ihm, dass sie dasselbe wollte wie er.
Aber nicht hier, in dieser zur Disko umfunktionierten Turnhalle. Nicht hier, wo jeder sie sehen und sie verspotten würde …
Sie waren durch den Park gelaufen und dann in den alten Heuboden über dem Stall geklettert, bebend vor Erwartung und Verlangen.
Endlich konnten sie sich küssen! Dass es Mays erster Kuss war, spürte er ganz deutlich. Und auch für ihn war es der erste, bei dem er mehr empfand als flüchtige Erregung.
May war so anschmiegsam, ihre Lippen so süß. Er fühlte sich wie ein Eroberer und unbesiegbar.
Bei der Erinnerung an ihren weichen Körper, der sich im Dunkeln an ihn presste, durchzuckte es ihn wie ein Stromstoß …
„Du brauchst also bis Monatsende einen Ehemann“, fasste Adam bemüht sachlich zusammen und ermahnte sich, nicht länger erotischen Erinnerungen nachzuhängen. „Weil dein Großvater bestimmt hat, dass du bis spätestens zum dreißigsten Geburtstag verheiratet sein musst, wenn du das Haus erben willst. Das heißt, er bestimmt über dich quasi noch aus dem Grab heraus.“
„Die Klausel ist alt und gehört sozusagen zur Tradition von Coleridge House“, verteidigte May den alten Mann. „Ich habe nur leider erst heute davon erfahren, weil zum einen Dokumente bei dem Hochwasser verloren gegangen waren und zum anderen Grandpas Gedächtnis durch den Schlaganfall schwer gelitten hatte.“
„Du warst also nicht vorgewarnt?“, fragte Adam ungläubig. „Er hat dir auch vor seiner Krankheit nie etwas gesagt?“
„Richtig. Warum auch? Ich war doch mit Michael Linton verlobt, und das Hochzeitsdatum stand bereits fest.“
Daran konnte er sich auch noch gut erinnern. Er hatte die Annonce damals in der Zeitung gelesen und sie Saffy gezeigt, die ganz außer sich geriet.
„Das hat ihr Großvater arrangiert“, behauptete sie wütend. „Weil er Angst hat, sie brennt sonst wie ihre Mutter mit einem Niemand durch, der sie schwängert und dann sitzen lässt.“
Zum Glück hatte sie nicht weitergeredet. Ausnahmsweise.
Dann hatte Mays Großvater den Schlaganfall erlitten. Zuerst war die Hochzeit verschoben worden, plötzlich erfuhr man, Michael Linton habe geheiratet, allerdings nicht May Coleridge.
„Warum hast du Michael nicht geheiratet?“, wollte Adam nun wissen.
„Weil er mir einreden wollte,
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