Julia Extra Band 0339
dachte er grimmig, doch am darauffolgenden Morgen sollte er dieses Versäumnis noch heftiger bedauern.
„Daddy, ich habe heute Nacht von Mummy geträumt.“
Nate stand mit dem Rücken zu Ace und machte ihre Schulbrote zurecht. „Tatsächlich?“, antwortete er mit möglichst neutraler Stimme, wobei er stirnrunzelnd die Brote musterte. Schon wieder Erdnussbutter. Bestimmt würde Morgan sich genötigt fühlen, ihm deswegen eine Nachricht zu schicken. Aber egal, seit wann kümmerten ihn Morgan McGuires Nachrichten?
Wahrscheinlich seit du so blöd gewesen bist, ihr diesen spontanen Kuss auf die Wange zu geben!
„Es war ein toller Traum“, verkündete Ace, und Nate spürte eine Welle der Erleichterung. Vielleicht hatten sie ja endlich den Wendepunkt erreicht. Ace träumte häufig von ihrer Mutter, aber bisher waren es immer Albträume gewesen, aus denen sie weinend und verstört aufgewacht war.
Und auch er schien allmählich wieder in den Fluss des Lebens zurückzukehren. Er war im Supermarkt gewesen und nahm als freiwilliger Helfer an einem Projekt der Stadt teil. Der einzige Wermutstropfen dabei war sein dumpfer Verdacht, dass Morgan McGuire einen entscheidenden Anteil an dieser Entwicklung hatte.
Um diesem unerfreulichen Gedanken etwas entgegenzusetzen, schmierte Nate eine besonders dicke Schicht Erdnussbutter auf die Brote. Ace liebte Erdnussbutter. Ganz besonders auf nährstoffarmem unökologischen Weißbrot wie diesem.
Du benimmst dich wie ein verstockter Vierzehnjähriger, Nate Hathoway!
„Willst du gar nicht wissen, was in meinem Traum passiert ist?“
Nate wandte sich kurz zu seiner Tochter um. Sie trug ihre neuen Slimfit-Jeans mit Glitzer und dazu einen hellblauen Angorapullover mit weißen Schneeflocken an der Vorderseite. Außerdem stellte er fest, dass sie ihr widerspenstiges Haar an diesem Morgen besonders sorgfältig gekämmt und offenbar mit Wasser an die Kopfhaut gedrückt hatte.
„Doch, natürlich“, versicherte er ihr, bevor er sich wieder zur Arbeitsplatte drehte. „Himbeer oder Erdbeer?“
„Himbeer. In meinem Traum war Mummy ein Engel.“
Du bist mein Schutzengel gewesen, Hath, und jetzt bin ich deiner …
Ein kühler Hauch streifte Nates Nacken, als er eine großzügige Schicht Himbeermarmelade über der Erdnussbutter verteilte.
„Sie hatte ein langes weißes Kleid an und große weiße Flügel. Sie hat mich auf ihren Schoß genommen und gesagt, wie leid es ihr tut, dass sie mich verlassen musste, und dass sie mich furchtbar lieb hat.“
„Das ist schön, Ace“, murmelte Nate. „Wirklich schön …“
„Sie hat gesagt, dass sie mich ausgerechnet an Weihnachten verlassen musste, weil viele Leute vergessen hätten, worum es an Weihnachten geht, und dass sie ein Engel werden musste, um es ihnen beizubringen. Und dann sagte sie, dass sie Weihnachten retten würde. Glaubst du, dass das wahr ist, Daddy?“
Was sollte er darauf erwidern?
Nach Davids Tod hatte Cindy, die bis dahin nie religiös gewesen war, zu einem schlichten Glauben gefunden. Sie hatte geglaubt, dass Gott manchmal Wege einschlug, die der menschliche Verstand nicht begriff. Dass er aus Schlechtem Gutes schaffen konnte und dass er sich stets um die Menschen kümmerte, selbst wenn es so aussah, als würde er sie im Stich lassen.
Nate hatte diese Überzeugung zwar nicht teilen können, aber er hatte sie als wohltuenden Gegenpol zu seiner eigenen Tendenz zum Zynismus empfunden, die sich nach ihrem Tod noch verstärkt hatte.
Ist das die Art, wie du ihr Vertrauen in dich belohnst? hatte er Gott herausgefordert. Erklär mir den Grund! Zeig mir das Gute, das dabei herausgekommen ist!
Er hatte nie eine Antwort bekommen.
„Ich hoffe es, Liebes“, sagte er, denn trotz seines Zynismus wusste Nate, dass niemand die Rettung von Weihnachten nötiger hatte als er und seine Tochter.
Allerdings überkam ihn der Verdacht, dass Aces Traum weniger mit ihrer Mutter zu tun hatte als vielmehr mit Mrs Wellhavens gedankenloser Ankündigung, dass eine der Erstklässlerinnen zum Weihnachtsengel erwählt würde.
Nates Vermutung wurde umgehend bestätigt, als Ace ihm feierlich verkündete: „In dem Traum hat Mummy mir gesagt, dass ich der Weihnachtsengel sein werde.“
Er sah sie über die Schulter hinweg an und hoffte, dass seine Gedanken sich nicht in seinem Gesicht widerspiegelten. Selbst mit ihrer neuen Garderobe und der ordentlichen Frisur ähnelte Ace mehr einem frechen Kobold als einem Engel.
„Arme Brenda“, sagte sie
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