Julia Extra Band 0347
was das Kribbeln in seinen Augen auslöste und sein Herz schneller schlagen ließ. Würde er gleich anfangen zu weinen? Er vergoss niemals Tränen.
Ein schmerzhafter Ausdruck lag in Graces Gesicht.
„Komm her“, bat er und breitete die Arme aus.
Mit skeptischem Blick näherte sie sich ihm und schmiegte sich an ihn. Er spürte ihren warmen Atem an seiner Brust.
„Mach dir keine Sorgen“, sagte er leise und strich ihr sanft übers Haar, über die Schultern und den Rücken hinunter. „Wir werden uns da schon durcharbeiten.“
Er küsste sie auf die Stirn und trat einen Schritt zurück.
„Ich muss … ich glaube, ich gehe eine Runde laufen.“
Wir werden uns da schon durcharbeiten?
Mit offenem Mund starrte Grace auf die Schlafzimmertür. Als ob es sich hier um ein Problem mit dem Finanzamt handelte. Sie hatte ihm mitgeteilt, dass sie ein gemeinsames Baby erwarteten, und er ging joggen? Unglaublich!
Fassungslos setzte sie sich an den Rand des Bettes und zog das Laken fester um sich.
Wie anders hatte Rob damals reagiert, als sie ihm wenige Tage vor ihrem ersten Hochzeitstag eröffnet hatte, dass sie schwanger sei. Er hatte vor Freude laut aufgeschrien, sie im Zimmer herumgewirbelt und dann vorsichtig aufs Sofa gesetzt, als sei sie aus Porzellan. Dann hatte er sämtliche Freunde angerufen und mit der Neuigkeit geprahlt.
Was ging in Noah vor? Wovor hatte er Angst? Dass sie weniger Zeit für ihn haben würde? War es Eifersucht? Sie verstand es einfach nicht.
Sie legte die Hand auf den Bauch, der nicht unbedingt flach, doch einer Frau in ihrem Alter angemessen war. Fast zwanzig Jahre würden ihre beiden Kinder trennen. Doch sie spürte genauso eine Verbindung zu dem winzigen Leben in ihr, das lediglich ein Bündel Hoffnung war, wie zu der erwachsenen Tochter, die gerade dabei war, ihre Möglichkeiten in der Welt zu erkunden. Und es war jetzt sogar noch eine größere Freude, da Grace wusste, welch wunderschöne Zeiten vor ihr lagen.
Es war ihr Kind.
Zumindest hatte Noahs Reaktion eine gute Seite.
Sie wusste jetzt, was sie wirklich fühlte. Sie wollte dieses Baby mehr als alles andere. Sie wollte seine ersten Bewegungen in sich spüren, seinen ersten Schrei hören und das unerhörte Glücksgefühl erleben, wenn sie das erste Mal sein Gesichtchen sah.
Grace stand auf und suchte nach Unterwäsche. Früher oder später würde Noah seine Freude sicher zeigen. Er war vermutlich einfach nur schockiert von der Nachricht. Was immer das Problem sein mochte, sie hoffte, dass er in einem besseren Gemütszustand war, wenn er vom Laufen zurückkam.
Mit federnden Schritten rannte Noah über den Asphalt. Grace war schwanger. Mit seinem Baby! Er wusste nicht, ob er auf einen Baum klettern und wie Tarzan einen Schrei ausstoßen oder sich in einem Laden Zigarren kaufen sollte.
Wenigstens fühlst du etwas.
Halt die Klappe.
Alles würde sich verändern. Was würde aus ihren Reisen? Aus den Partys und Preisverleihungen? Er hatte sich nie vorgestellt, all das mit einem Kinderwagen in der Hand zu tun.
Du bist egoistisch.
Ich weiß. Halt die Klappe.
Er erhöhte sein Lauftempo, bis ihm die Lungen und Muskeln brannten. Nie im Leben hatte er daran gedacht, Vater zu werden. Vielleicht auch, weil ihm sein eigener für diese Rolle nie ein gutes Vorbild gewesen war. Dennoch hatte er durch den Vergleich mit den Vätern seiner Freunde eine Vorstellung davon bekommen, wie ein guter Vater sein sollte. Er sollte mit seinem Sohn kommunizieren können, ihm etwas fürs Leben mitgeben und ihn auch mal loben. Auf keinen Fall durfte er ihn hinausekeln und die meiste Zeit so tun, als existiere er nicht.
Er wusste, wie wichtig das war, denn als Junge hatte er krampfhaft versucht, seinen Vater stolz zu machen.
Noah blieb stehen und stützte keuchend die Hände auf die Oberschenkel. Es war, als ob sich eine dunkle Wolke über seine Gedanken und Erinnerungen legte. Dieses trostlose Gefühl war wesentlich stärker als das, was er bei der Nachricht, dass Grace ein Kind von ihm erwartete, empfunden hatte. Was immer es auch war, am besten er ignorierte es.
Angst. Was du fühlst ist Angst.
Nun, er hatte gute Gründe, Angst zu haben. Wenn das Baby erst auf der Welt war, würde Grace schnell merken, was mit ihm los war. Spätestens dann würde er seine innere Leere nicht länger verbergen können – und Grace würde ihn nicht mehr wollen.
Mit diesen Gedanken sprintete Noah erneut los, obwohl er immer noch außer Atem war.
Sanfrandani: Und was
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