Julia Extra Band 348
Farben der Schule bemalt war. Das Bild war nicht gerade schmeichelhaft. Unter dem Namen, wo normalerweise die Erfolge und Errungenschaften der betreffenden Person aufgelistet waren, stand bei Chloe nichts. Dass sie an vielen AGs beteiligt war und zu den Besten der Schule gehörte, wurde mit keinem Wort erwähnt.
„Also gut. Ich werde nicht zulassen, dass sie irgendwelche Vermutungen über mich anstellen. Ich werde ihnen meine Kurzbiografie schicken, und sie werden weinen, wenn sie den Text lesen.“ Mit entschlossener Miene schaltete sie ihren Laptop ein und sah dabei bezaubernd aus. Es war bereits nach zehn, als sie schließlich aufstand und sich streckte. Ihre Wirbel knackten. Simon, der weggedämmert war, reckte sich. Er schubste ihre Katze von seinem Oberkörper und setzte sich auf.
„Fertig?“
„Ja. Es ist ein Meisterwerk geworden.“
Ihr Lächeln kam ihm verdächtig vor. „Darf ich es lesen?“
„Klar. Wenn du irgendwelche Tippfehler siehst, sag Bescheid. Ich werde mal schnell unter die Dusche springen.“
Tippfehler waren keine darin, aber ihre Kurzbiografie wimmelte von … Ausschmückungen. Sie hatte die Einladungen für die Festlichkeiten zum Amtsantritt des Bürgermeisters nicht entworfen. Und sie hatte auch nicht die neue Broschüre für Besucher von Ellis Island gestaltet. Genaugenommen war fast nichts von ihr umgesetzt worden, was sie in ihre Kurzbiografie geschrieben hatte. Doch Simon fielen zig Dinge ein, die sie weggelassen hatte. Dinge, von denen sie nicht dachte, dass sie durch sie erfolgreich erscheinen würde, die aber seiner Meinung nach von ihrer Persönlichkeit zeugten.
Zum Beispiel ihre unentgeltliche Arbeit für ihre Lieblingsbuchhandlung oder das Blog, welches sie für Olga eingerichtet hatte, damit diese leichter mit ihrer Familie in Kontakt bleiben konnte, die bis in die abgelegensten Flecken Europas verstreut war.
Chloe begriff es immer noch nicht. Sie bewertete sich selbst nach überkommenen Maßstäben und erkannte den eigenen Wert nicht. Er begann zu schreiben. In dem Moment, in dem sie die Dusche abstellte, wurde er fertig, und er war zufrieden mit dem Ergebnis. Seiner Meinung nach wurde daraus deutlich, was für eine bemerkenswerte Frau sie war. Rasch kopierte er seine Version in eine neue E-Mail und schickte sie an die Adresse, die das Komitee vom Klassentreffen angegeben hatte. Als Chloe sich ein paar Minuten später zu ihm gesellte, war ihre Version wieder auf dem Bildschirm zu sehen.
Ihr Haar war noch feucht und sie roch nach Seife und einfachem Shampoo, doch für ihn war dieser Duft verführerischer als der von teurem Parfum. Trotz eines Sweatshirts, das er schon tausendmal an ihr gesehen hatte, reagierte sein Körper auf sie, als würde sie feine Wäsche tragen. Während sie ihre Haare mit einem Handtuch trocken rubbelte, fragte sie: „Und? Was denkst du?“
Erst begriff er nicht, dass sie von der Kurzbiografie sprach, und sein Mund wurde trocken.
„Ich wusste gar nicht, dass du so tolle Aufträge hattest“, antwortete er knapp.
Sie räusperte sich. „Bei solchen Sachen erfindet jeder etwas dazu, Simon. Außer Leute wie du, denen bereits die halbe Welt gehört, bevor sie dreißig sind.“
„Du hast einiges gemacht, worauf du stolz sein kannst.“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber ich will dir da nicht reinreden. Also habe ich die Mail einfach abgeschickt.“
„Echt? So, wie sie ist?“
„Ja, genau so.“
Und ein schlechtes Gewissen plagte ihn dabei nicht im Geringsten.
9. KAPITEL
Die, mit der man am besten reden kann
Fluchend griff Simon nach seiner Krawatte. Was um alles in der Welt hatte ihn geritten, eine Party in seiner Wohnung zu veranstalten, nur um Chloe die Möglichkeit zu geben, Trevor anzugraben, damit er sie zum Klassentreffen begleitete?
„Ich muss verrückt sein“, sagte er zu seinem Spiegelbild.
Und außerdem war er eifersüchtig.
Doch das mochte er nicht laut aussprechen – es war schwer genug, sich diese Schwäche einzugestehen. Er hatte geglaubt, damit klarzukommen, dass er sich von Chloe angezogen fühlte. Er liebte sie, aber er würde nie mit ihr zusammen sein. Er wollte sich ihr gegenüber immer wie ein guter Freund verhalten. Doch in letzter Zeit fiel es ihm schwer, sich an die Grenzen zu halten, die er sich selbst gesetzt hatte.
Der Umstand, dass Simon gerade nicht mit einer Frau zusammen war, und dass er und Chloe sich öfter als sonst sahen, seitdem sie die Einladung zu dem Klassentreffen erhalten hatte, machte
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