Julia Extra Band 348
Herrn.“
Während sich die Schwestern seiner theologischen Ausbildung annahmen, lehrten die anderen Jungen Draco eine sehr viel weltlichere Art von Angst. Es war, als hätte man einen Welpen in einem Wolfsbau ausgesetzt. Draco bezog bei jeder sich bietenden Gelegenheit Prügel. Er war mager, still und ein Bücherwurm. Viel schlimmer jedoch war, dass seine Kleidung, so abgetragen sie auch war, ihn eindeutig als Angehörigen des verhassten Adels auswies.
Die Schwestern merkten nichts davon – oder sie ignorierten es absichtlich. Bis sich die in Draco angestaute Frustration nach gut einem Jahr Luft machte und er sich wehrte. Er wehrte sich mit solcher Wucht, dass sein Angreifer blutend und schluchzend auf dem Boden lag. Draco, voller blauer Flecke und mit blutverschmierter Nase, stand als triumphierender Sieger über ihm.
Damit stand sein Ruf fest. Um ihn zu behaupten, musste er sich ab und zu den Herausforderungen anderer Jungen stellen. Die Oberin bemerkte düster, sie hätte immer geahnt, dass aus ihm nichts werden würde.
An Dracos siebzehnten Geburtstag wollte einer der älteren Schüler ihm ein ganz besonderes Geschenk machen. Er kam nachts in den Schlafsaal, hielt Draco mit der Hand den Mund zu und riss ihm die Schlafanzughose herunter.
Aber Draco war nicht mehr klein und auch nicht mehr mager. Mit lautem Gebrüll stürzte er sich auf den Angreifer. Wären die anderen nicht wach geworden und hätten ihn zurückgezerrt, hätte er den Jungen wohl umgebracht.
Die Oberin stellte keine Fragen, sondern urteilte: „Du bist ein Dämon in Menschengestalt. Niemand will dich hier haben.“ Damit war er der Schule verwiesen. Ihm blieb Zeit bis zum nächsten Tag, um seine Sachen zu packen.
Statt zu packen, brach er in der Nacht in das Büro der Oberin ein und stahl den mageren Inhalt aus der Kasse in ihrem Schreibtisch.
Ein Zuhause, in das er zurückkehren konnte, besaß er nicht. Also flog er nach New York, nur mit den Sachen, die er am Leib trug, und mit dem festen Vorsatz, etwas aus sich zu machen.
Zeige niemals Schwäche. Zeige niemals Gefühle. Vertraue niemandem, nur dir selbst. Das war seine Lebensphilosophie.
New York war groß, hektisch und unerbittlich. Und es war die Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten.
Draco nahm alle möglichen Jobs an. Beim Bau. Als Kellner. Er fuhr Taxi. Er arbeitete wie ein Tier … und musste sich nachts, wenn er in seinem kleinen, von Kakerlaken bevölkerten Zimmer lag, eingestehen, dass er nicht weiterkam.
Ein Mann brauchte ein Ziel, er musste einen Sinn in dem sehen, was er tat. Ihm fehlte das eine wie das andere.
Dann erfuhr er eher durch Zufall, dass sein Vater gestorben war. In der New York Post stand nur ein kleiner Absatz:
Prince Mario Valenti kam gestern im Kugelhagel auf offener Straße ums Leben. Mitverwickelt in die Schießerei war Filmsternchen …
Die Details waren unwichtig. Sein Vater war ruiniert, verschuldet und in Schande gestorben. In diesem Moment wusste Draco genau, was er mit seinem Leben anfangen wollte: Er würde dem Namen Valenti den alten Glanz zurückgeben. Das hieß: Er würde die Schulden seines Vaters bezahlen. Würde den palazzo restaurieren. Würde alles tun, damit dieser lächerliche Titel seine ursprüngliche Bedeutung wiedererlangte.
Er fing noch einmal von vorne an, reiste durch die Staaten und fand in San Francisco die Stadt, die ihm zusagte, weil Individualität hier geschätzt wurde. Irgendwie schaffte er es, sich an der Universität einzuschreiben und belegte Kurse in Mathematik und Finanzwesen, weil er es faszinierend fand.
Bei der Arbeit für eine Seminararbeit stolperte er über eine Idee. Ein Investmentplan, der in der Theorie funktionierte. Ob sich diese Idee auch in die Praxis umsetzen ließ?
Es gab nur einen Weg, um das herauszufinden.
Draco nahm alles Geld, das er für die Studiengebühren des nächsten Semesters beiseitegelegt hatte, und setzte es an der Börse ein. Die Summe vervierfachte sich innerhalb kürzester Zeit. Er verließ die Uni und konzentrierte sich auf neue Investitionen.
„Draco Valenti, neuer Investor auf der Finanzbühne, jongliert mit eiskalter Präzision“, lautete die Überschrift, als das Wall Street Journal zum ersten Mal über ihn berichtete.
Irgendwann gründete er seine eigene Firma – Valenti Investments. Manchmal unterlief ihm ein Fehlgriff, meist jedoch waren seine Entscheidungen von beispiellosem Erfolg gekrönt. Er verdiente genug Geld, um die Wohnung in San Francisco und die Villa
Weitere Kostenlose Bücher