Julia Extra Band 358
entgegenzusetzen, was er nicht gewohnt war. Das und die Tatsache, dass sie eine außergewöhnlich verführerische Frau war, machte die Situation so prickelnd und interessant. Lange jedoch würde sie nicht in der Lage sein, kühl und distanziert zu bleiben, davon war er überzeugt.
Ra’id war ein kleiner Tyrann, der schon Dutzende von Kindermädchen auf dem Gewissen hatte. Alyssa Dene war eine besondere Nanny, trotzdem würde auch sie ihn in seiner Funktion als Vormund früher oder später um Rat und Hilfe bitten müssen. Er würde also lediglich etwas länger auf seine verführerische Beute warten müssen.
Verstohlen musterte er sie von der Seite. Alyssa war für eine Frau ziemlich groß, sie reichte ihm fast bis zur Schulter. Sie war schlank und ausgesprochen weiblich proportioniert, besaß strahlend blaue Augen, und ihr dichtes blondes Haar schimmerte golden. In seiner Fantasie löste er schon den strengen und äußerst korrekt geflochtenen französischen Zopf und spielte mit den seidigen Locken …
Als Alyssa an Lysanders Seite das Zimmer des kleinen Prinzen betrat, blieb sie überrascht stehen. Während Lysander sie als die neue Nanny vorstellte, verschaffte sie sich einen ersten Überblick.
Der fünfjährige Ra’id saß am Kopf eines üppig gedeckten Tisches, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und blickte eigensinnig und gelangweilt zugleich vor sich hin. Er hielt Hof wie ein Despot aus dem Morgenland. Die Bediensteten verbeugten sich unterwürfig und redeten schmeichelnd auf ihn ein. Offensichtlich waren sie bemüht, ihn zum Essen zu überreden.
„Hier ist der arme kleine Waisenjunge, den du aus den Klauen des bösen und hartherzigen Onkels retten sollst“, sagte Lysander ihr leise ins Ohr.
Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, wandte sich Alyssa an Ra’id.
„Hallo, Prinz Ra’id. Anscheinend gefällt dir dein Essen nicht, daher lassen wir abräumen und schicken die vielen Leute mitsamt Schüsseln und Platten hinaus.“
„Aber er hat noch nichts gegessen!“, meldete sich eine empörte Stimme. „Wir haben ihm alles serviert, was er verlangt hat, aber nichts ist ihm gut genug.“
„Das ist äußerst bedauerlich, aber jetzt gibt es nichts mehr, denn die Mittagszeit ist längst vorbei.“
„Ich habe Hunger!“ Aufsässig sah Ra’id sie an.
Alyssa reagierte nicht darauf. Sie begann, den Tisch abzuräumen, forderte die Bediensteten auf, ihr zu helfen, und schickte sie nach getaner Arbeit mit dem voll beladenen Servierwagen hinaus.
„Ich habe Hunger“, wiederholte Ra’id, diesmal allerdings recht weinerlich.
„Das glaube ich nicht, denn sonst hättest du gegessen, was du dir bestellt hattest. So behandelt man seine Leute nicht, Prinz Ra’id! Sie haben sich Mühe gegeben, deine Wünsche zu erfüllen, und du hast noch nicht einmal einen einzigen Bissen probiert. Ich bin deine neue Nanny, das hast du von deinem Onkel gerade gehört, und daher gelten jetzt auch neue Regeln. Ab heute wird zu regelmäßigen Zeiten gegessen und zwar das, was auf den Tisch kommt.“
Sie blickte auf ihre Uhr und drehte sich dann zu Lysander um. „Wie sind die Gepflogenheiten in Combe House? Gibt es nachmittags Tee mit einem Sandwich oder etwas Süßem?“
„Was immer du möchtest, Alyssa.“ Er lachte leise.
„Dann werden wir in einer halben Stunde bei dir Tee trinken, Lysander. Für Ra’id lasse bitte Rührei auf Toast kommen.“
„Ich mag aber kein Rührei!“, warf Ra’id ein. „Was ist das überhaupt?“
„Das wirst du schon sehen. Wie gesagt, ab jetzt wird gegessen, was auf den Tisch kommt.“
„Nein!“ Der Kleine gab sich unbeeindruckt. „Du hast mir nichts zu befehlen, ich bin nämlich ein König.“
Diesen Satz kannte Lysander nur zu gut, denn damit hatte Ra’id alle bisherigen Kindermädchen dazu gebracht, zu kündigen und verzweifelt das Schloss zu verlassen. Wie würde Alyssa darauf reagieren?
Sie kniete sich neben Ra’id, der immer noch auf seinem Stühlchen vor dem Kindertisch saß, und sah ihm in die Augen.
„Das bist du noch nicht, junger Mann. Jetzt höre mir bitte einmal gut zu. Für die nächsten viertausend Tage ist dein Onkel Lysander für dich und für alles um dich herum verantwortlich. Das ist eine lange Zeit und du solltest dich besser daran gewöhnen. Und wenn er sagt, du sollst essen, was deine Diener so liebevoll und mit viel Mühe für dich gekocht haben, dann tust du das auch, ansonsten bleibt dein Magen leer. Nicht wahr, Lysander?“
Verunsichert blickte
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