Julia Extra Band 358
Rosara geschickt regieren und gleichzeitig dafür sorgen, dass Ra’id nichts passiert, denn solange ich keinen Sohn habe, ist er der Letzte der Linie.“
Alyssa sah, dass es ihm ernst war. Plötzlich wirkte Lysander anders als der oberflächliche Lebemann, als den sie ihn bisher eingeschätzt hatte. Ganz in Gedanken versunken betrachtete sie ihre Hände und bekam überhaupt nicht mit, wie Lysander Stück für Stück näher rückte. Erst als er ihr die Hand auf den Arm legte, bemerkte sie ihn und hob erschrocken den Kopf.
„Ich bin auf dich angewiesen, Alyssa.“
Mit einem Ruck entzog sie ihm den Arm. „Was Ra’id betrifft, bin ich zu allem bereit. Alles andere ist meine Privatangelegenheit.“
„Das hast du oft genug betont, meiner Meinung nach ist das jedoch eine falsche Ansicht. Wenn wir Ra’id wirklich helfen wollen, müssen wir ein echtes Team und in seinen Augen unzertrennlich sein, und zwar in allen Lebensbereichen – bei der Arbeit genauso wie beim Vergnügen.“
„Nein, Lysander. Für mich besteht mein Job als Ra’ids Nanny aus Verantwortung rund um die Uhr, eigenes Vergnügen hat da keinen Platz. Einmal habe ich ein Kind im Stich gelassen und bin daran fast verzweifelt, seitdem ist mein jeweiliger Zögling zugleich Mittelpunkt meines Lebens. Verstehst du das?“
Lysander lehnte sich zurück und schob einen Arm auf die Rückenlehne des Sofas. Seine Augen gaben nicht preis, was er dachte. „Ja, ich erinnere mich – einer der Hofbeamten hat mir über den Vorfall berichtet, als er deine Referenzen überprüfte. Es war wirklich eine Tragödie, der Junge musste sterben, weil niemand deinen Hinweis, wie krank er war, ernst nahm. Das war unverzeihlich.“
„Das war es.“ Außer mit Jerry hatte sie noch nie mit jemandem über den Vorfall gesprochen, und schon das war ihr schwer genug gefallen. „Und nun lass uns bitte das Thema wechseln.“
Alyssas Atem ging flach und stoßweise. Warum mussten gerade nun die grauenhaften Erinnerungen an den Tod des kleinen Georgie wieder wach werden? Ausgerechnet jetzt, da sich ihr die Chance zu einem Neubeginn bot? Sie durfte sich nicht unterkriegen lassen, sie musste tapfer bleiben!
Wenn sie doch bloß einen Bruchteil von Lysanders Selbstbewusstsein besitzen würde – stattdessen saß sie da und kämpfte mit den Tränen. Um das zu verbergen, senkte sie den Kopf und machte dabei eine überraschende Entdeckung.
Zum ersten Mal seit Georgies Tod besaß sie die Kraft, ihre Trauer zu beherrschen, und ihre Augen blieben trocken. Das musste ein gutes Zeichen sein.
„Kein Wunder, wenn du nach diesen Erfahrungen deinen Mitmenschen mit Misstrauen begegnest.“ Lysander nickte ihr verständnisvoll zu. „Doch nicht jeder Mensch ist schlecht, das würde ich dir gern beweisen. Ich möchte dir helfen.“
Sie zögerte und fühlte sich versucht, mit ihm über die Sache mit Georgie zu sprechen, statt sie immer nur zu verdrängen. Doch so einfühlsam und verständnisvoll sich der charmante Prinz Lysander auch gab, er war ein Wolf im Schafspelz. Mit ihm über Allerweltsangelegenheiten zu reden, war eine Sache, sich ihm anzuvertrauen, eine andere.
Alyssa leerte ihre Tasse, setzte sie zurück auf das Tablett und stand auf. „Danke für den Kaffee, Lysander. Es war nett, mit dir zu plaudern, aber wenn du jetzt kein Anliegen mehr hast, das Ra’id betrifft, möchte ich dich bitten, zu gehen. Ich möchte endlich meinen Koffer auspacken.“
Sie ging zu der Tür, von der sie annahm, dass sie zu ihren Räumen führte. „Der Wachmann, der mein Auto geparkt hatte, wollte mein Gepäck in meine Suite bringen. Aber ich weiß noch nicht einmal, wo die ist.“
„Du stehst schon vor der richtigen Tür, sie ist jedoch abgeschlossen und lässt sich nur von der anderen Seite aus öffnen. Deine Vorgängerin hat darauf bestanden, sie wollte nachts nicht von Ra’id gestört werden. Du musst also zurück ins Treppenhaus und den Haupteingang deiner Wohnung benutzen.“
„Was für eine unsinnige Maßnahme! Ra’id kann mit seinen Sorgen jederzeit zu mir kommen, auch nachts. In Zukunft wird die Tür offen bleiben.“
„Ganz wie du möchtest.“ Er zuckte die Schultern. „Dann bleibt mir also nur noch die Aufgabe, dich in deine einsame Kemenate zu bringen.“ Lächelnd reichte er ihr den Arm. „Natürlich nur bis zur Tür und nicht weiter.“
Bisher hatte Alyssa jeden körperlichen Kontakt peinlichst gemieden, weil sie wusste, wie sie auf Lysander reagierte. Welch begnadeter
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