Julia Extra Band 358
brauchte und Sie bat, sich während ihrer Abwesenheit um meine Schwester Alena zu kümmern? Sie haben abgelehnt und sind einfach nach New York gefahren.“
„Das war ein Missverständnis“, verteidigte Laura sich.
„So etwas nennen Sie Missverständnis? Wenn Alena Ihnen eine Nachricht von Ihrer Tante überbringt, in der sie unmissverständlich darum bittet, meiner Schwester in London beizustehen?“
Laura hatte nie eine solche Nachricht erhalten, aber das konnte sie unmöglich zugeben, ohne Alena zu verraten.
„Alena ist schließlich kein Kind mehr“, argumentierte sie stattdessen.
„Das ist richtig“, lenkte Vasilii ein. „Aber sie ist naiv und viel zu vertrauensselig. Das ist eben ihre Natur. Dazu kommt noch unsere dramatische Familiengeschichte.“
Natürlich verstand sie die Sorge um seine Schwester. „Es tut mir leid, wenn Sie denken, ich hätte sie im Stich gelassen.“ Es gefiel ihr zwar nicht, sich bei Vasilii zu entschuldigen, obwohl sie sich keiner Schuld bewusst war. Andererseits konnte sie die Situation auch nicht aufklären, ohne dabei Alena ans Messer zu liefern. Sie mochte inzwischen verheiratet sein, trotzdem würde es sie bestimmt sehr treffen, bei ihrem älteren Bruder in Ungnade zu fallen.
Vasilii hatte nicht damit gerechnet, dass Laura sich bei ihm entschuldigen würde. Vielleicht hatte er sich ein zu starres Bild von ihr gemacht, das wenig mit der Realität gemein hatte? Schwer zu sagen, was nun wirklich der Wahrheit entsprach …
Laura wurde von Wu Ying herzlich begrüßt. Die Chinesin hatte im Hinblick auf ihren gemeinsamen Ausflug einen Änderungsvorschlag auf Lager. „Ich würde mit Ihnen gern eine andere Tour unternehmen“, erklärte sie eifrig. „Da gibt es ein Weingut, das ich mir unbedingt ansehen muss. Es liegt etwa dort.“ Sie hielt Laura einen Zettel und eine Landkarte unter die Nase. „Nicht weit weg von dem Gebiet, das wir zuerst im Visier hatten.“
„Ich werde dem Fahrer Bescheid geben“, versprach Laura freundlich.
„Das sollte unsere erste Station sein“, bekräftigte Wu Ying noch einmal. „Mein Mann hat begonnen, Wein zu sammeln. Ich würde gern ein paar Flaschen von diesem Gut kaufen, um sie ihm zu schenken.“
Zwei uniformierte Hotelangestellte eilten herbei, um den beiden Frauen die gläsernen Eingangtüren aufzuhalten, und Laura hielt sich stets einen halben Schritt hinter ihrem Gast.
Heute trug Laura eine weit geschnittene weiße Leinenhose und ein olivgrünes Shirt, das zu ihren sommerlichen Sandalen passte. Eine bequeme helle Strickjacke für kühlere Stunden behielt sie vorerst in einer Umhängetasche bei sich.
Draußen wartete eine auf Hochglanz polierte Limousine mit getönten Scheiben. Auf Russisch – das war die Sprache, die hier von den meisten Hotelangestellten gesprochen wurde – erklärte Laura dem Fahrer, wo er sie zuerst hinbringen sollte.
Vasilii traf sich um elf Uhr mit Gang Li. Anschließend war ein Mittagessen mit Wei Wong Zhang geplant, bei dem vermutlich die letzten nötigen Entscheidungen bezüglich einer zukünftigen Zusammenarbeit getroffen werden würden.
Bisher war Vasilii nicht vollends überzeugt von Lauras These, Wu Ying hätte wegen ihrer familiären Verbindungen zur Regierung einen gleichstarken, wenn nicht stärkeren Einfluss auf die geschäftlichen Entscheidungen ihres Ehemanns als sein angeblicher Neffe. Es gab bisher keinen Beweis für diese Vermutung. Und selbst wenn Laura recht behielt, musste Vasilii immer noch den offiziellen Weg über Gang Li gehen, wie es das Protokoll vorsah, denn nur Gang Li war autorisierter Vertreter Wei Wong Zhangs.
Allerdings konnte sich Vasilii gut vorstellen, dass hinter den Kulissen ein Machtkampf zwischen Wu Ying und Gang Li entbrannt war, nachdem das Gerücht aufgekommen war, Gang Li sei Wei Wong Zhangs Sohn. Dazu passte auch Lauras SMS, dass sie dem Wunsch der Chinesin entsprochen habe, gemeinsam auf einem Weingut ein Geschenk für ihren Mann auszuwählen.
Alexei hatte seinerseits um ein Treffen am Nachmittag gebeten. Er beabsichtigte, sich nicht nur an einem großen Hotelkomplex mit den Chinesen zu beteiligen – sollte Wei Wong Zhang sich damit einverstanden erklären –, sondern auch die Entwicklung von weniger luxuriösen Businesshotels im Containerhafen zu finanzieren.
Seufzend griff Vasilii nach seinem Smartphone und durchquerte das Wohnzimmer der Suite, als er plötzlich wie angewurzelt stehen blieb. Lauras Duft hing in der Luft und hatte ihn augenblicklich
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