Julia Extra Band 362
nicht mehr. Das durfte sie nicht vergessen.
„Gut, dass du kommst“, sagte sie kühl. „Dann muss ich dich wenigstens nicht suchen.“
„Lässt du mich rein?“
„Ich wüsste nicht, warum. Was ich dir zu sagen habe, ist schnell gesagt.“ Sie unterbrach sich kurz, um Festigkeit in der Stimme bemüht. „Ich möchte Ethan sehen.“
„Er schläft.“
„Ich will mich aber verabschieden, Karim, und ein Nein akzeptiere ich nicht.“
Das war der Moment, in dem ihn die schiere Verzweiflung packte. Weil er wusste, dass sie ihm schrecklich fehlen würde – trotz alledem. Im Bett sowieso. Aber am meisten … am meisten würde er wahrscheinlich … alles an ihr vermissen. Ihren Geist. Ihren Mut. Ihre Entschlossenheit.
Ihre Augen waren gerötet, als ob sie geweint hätte. Das T-Shirt hatte sie verkehrt herum an, ein Zeichen dafür, dass sie vielleicht doch nicht ganz so gefasst war, wie sie vorgab.
Hoffentlich.
Eine ertappte Lügnerin wie sie sollte wenigstens eine Spur von Reue zeigen … Sein Herz begann sich wieder zu verhärten. Was für ein Trottel war er eigentlich, dass er sich einbildete, auch nur die kleinste Kleinigkeit an ihr vermissen? Und was das Bedauern anlangte … natürlich verspürte sie Bedauern. Allerdings nur darüber, dass ihr mit ihm auch die Fahrkarte für ihren sozialen Aufstieg abhandengekommen war.
„Hast du mich gehört? Ich will zu Ethan.“
„Ich habe dich gehört. Die Antwort ist nein.“
Rachel stemmte die Hände in die Hüften.
„Ich gehe hier nicht weg, bevor ich mich von ihm verabschiedet habe.“
Karim lachte. Es klang nicht angenehm.
„Du gehst, wenn ich es sage, und zwar in genau zwanzig Minuten.“
„Ich verlange …“
„Du verlangst ?“, sagte er in gefährlich sanftem Ton. „Du bist ja wahrlich nicht in der Position, irgendetwas zu verlangen.“
„Karim. Wenn du je … wenn du je etwas für mich empfunden hast …“
Sie schrie leise auf, als er sie bei den Ellbogen packte und auf die Zehenspitzen zog. „Erzähl mir nichts von Gefühlen“, knurrte er. „Du weißt ja nicht mal, was das ist.“
„Ich habe dich geliebt. Ich habe dich so sehr geliebt …“
„Deine Lügen machen mich ganz krank!“
„Es ist keine Lüge. Ich habe dich geliebt. Und Ethan auch.“
„Ja“, sagte er und ließ sie los. „Letzteres glaube ich dir.“
Für einen winzigen Moment wurde es Rachel leichter ums Herz, aber dieser Zustand hielt nicht an.
„Dass du Ethan liebst, glaube ich dir, und deshalb bin ich hier.“ Er unterbrach sich für einen Moment, dann fuhr er fort: „Er wird eine Kinderfrau brauchen.“
„Roberta wird …“
„Wird sie nicht. Sie ist freundlicherweise bereit, noch diese Woche zu bleiben, aber dann will sie zurück nach New York, um an den Sommerkursen teilzunehmen, die sie belegt hat.“
„Schön, dann muss Suki eben sehen, wo sie bleibt.“
Karim verzog den Mund.
„Ich hatte gestern Abend sehr spät noch eine Unterredung mit deiner Schwester. Sie ist bereits abgereist.“
„Suki? Aber …“
„Sie hat einer Adoption zugestimmt.“ Rachel starrte ihn an. „Was?“ Sie riss die Augen auf. „Du hast sie ausbezahlt.“
So war es. Genau das hatte er gestern spät abends noch bei ihr erreicht. Suki hatte Sex erwartet. Bekommen hatte sie einen Scheck über eine siebenstellige Summe, mit der sie mehr als zufrieden war. Im Gegenzug hatte sie einen wasserdichten Vertrag unterschrieben, mit dem sie sich verpflichtete, über alles, was Rami betraf, strengstes Stillschweigen zu bewahren. Außerdem hatte sie zugesichert, sich zeitlebens von Ethan fernzuhalten.
„Sagen wir einfach, wir haben uns zur beiderseitigen Zufriedenheit geeinigt.“
„Und … und alles andere? Hat sie zugegeben, dass sie, was mich betrifft, gelogen hat?“
„Wir haben nicht über dich, sondern über Ethan gesprochen.“
Rachel nickte. In ihren Augen brannten Tränen. Warum hätten sie auch über sie reden sollen, wo Karim die Lügen ihrer Schwester doch so bereitwillig geschluckt hatte?
„Und?“
„Was und?“
„Und was willst du dann hier?“
„Ich dachte, es interessiert dich vielleicht, was aus Ethan wird. Dass es ihm an nichts fehlen wird.“
Rachel schossen die Tränen in die Augen. „Danke. Das ist … das ist nett von dir. Es mir zu sagen, meine ich.“
Karim zögerte. „Du warst gut zu ihm“, sagte er leise.
„Ja.“
„Ich … ich will … du sollst wissen, dass ich ihn liebe.“
Und was ist mit mir? hätte sie fast gefragt.
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