Julia Extra Band 362
fremd
1. KAPITEL
Rafe Peverils Herz klopfte lauter als der stotternde Motor. Regen peitschte gegen die Windschutzscheibe des Kleinflugzeugs, und die Graslandschaft von Mariposa unter ihnen wurde von der zunehmenden Dunkelheit verschluckt. Noch vor wenigen Sekunden, kurz bevor die Maschine zu schwächeln begonnen hatte, hatte er in der Tiefe eine Hütte entdeckt.
Wenn sie es überhaupt schafften, das Unwetter zu überleben, könnte sich die winzige Hütte als die einzige Hoffnung herausstellen, um die Nacht wohlbehalten zu überstehen.
Ein weiterer Windstoß schüttelte das Flugzeug durch. Der Motor hustete einige Male – dann blieb er stehen. In die plötzliche gespenstische Stille hinein ratterte der Pilot auf Spanisch ein Gebet herunter und stieß ein paar Flüche aus, während er versuchte, die Maschine auf Kurs zu halten.
Wenn sie Glück hatten – und es gehörte eine gehörige Portion Glück dazu –, könnten sie vielleicht mehr oder weniger unbeschadet herunterkommen.
Als der Motor zaghaft wieder zu laufen begann, sah die Frau, die neben Rafe saß, auf. Ihr blasses Gesicht wurde von großen grünen Augen mit schwarzen Wimpern beherrscht. Pures Entsetzen stand in ihrem Blick.
Gott sei Dank blieb sie ruhig und fing nicht an zu schreien. Er griff nach ihrer Hand und drückte sie aufmunternd. Dann ließ er sie wieder los und drückte sanft ihren Kopf nach unten.
„Festhalten! Abstützen!“, rief er viel zu laut in die Stille hinein, als der Propeller abermals stehen blieb. Die Frau kauerte sich tief in ihren Sitz, und auch Rafe bereitete sich auf eine Notlandung vor.
Ein schrecklicher Stoß, ein grauenhaftes Kreischen …
… und Rafe erwachte.
Mit einem Ruck setzte er sich auf. Ein erleichterter Seufzer entfuhr ihm, als er den vertrauten Raum musterte. Sein Adrenalinspiegel sank, langsam beruhigte er sich. Anstatt in einem südamerikanischen Klinikbett wieder zu Bewusstsein zu kommen, fand er sich zu Hause in seinem Schlafzimmer in Neuseeland wieder.
Was, zum Teufel …?
Nach sechs Jahren sollte er sich eigentlich an die Gedächtnislücken nach dem Unfall gewöhnt haben. Dennoch versuchte er krampfhaft, sich an die Stunden von damals zu erinnern.
Ein Blick zur Nachttischuhr zeigte ihm, dass der Morgen nahte und ein weiterer Versuch einzuschlafen zwecklos war. Er brauchte frische Luft.
Draußen auf der Terrasse sog er den Duft von Salz und Blumen und von frisch gemähtem Gras ein und erfreute sich an der rauschenden Brandung. Sein Herzschlag normalisierte sich, seine Erinnerungen verblassten und wurden zu einer fernen Vergangenheit, so wie es sein sollte. Das fahle Licht des untergehenden Mondes tauchte das Haus in geheimnisvolle Schatten. Die strahlend helle Scheibe der Venus hing dort, wo das Meer den Himmel berührte, über einem Band aus reinem Gold.
Der einheimische Pilot hatte beim Aufprall in Mariposa sein Leben verloren. Wie durch ein Wunder hatten Rafe selbst und die Frau seines Gutsverwalters mit geringfügigen Verletzungen überlebt. Er hatte einen Schlag gegen den Kopf erlitten, sie ein paar Kratzer abbekommen.
Unter leichten Schwierigkeiten gelang es ihm, sich ein Bild von ihr in Erinnerung zu rufen – ein nichtssagendes Wesen, fast noch ein Mädchen. Den Abend vor seiner Abreise hatte er auf der Hazienda verbracht. Die junge Frau hatte sich die ganze Zeit über im Hintergrund gehalten, während er selbst sich mit ihrem Mann über geschäftliche Angelegenheiten unterhalten hatte. Er konnte sich an ihre außergewöhnlich grünen Augen in einem ansonsten uninteressanten Gesicht erinnern. Eine eher schlichte Person.
Mit einem schlichten Namen – Mary Brown.
Es hatte ihn nicht überrascht, sie kein einziges Mal lächeln zu sehen. Eine Woche vor seiner Ankunft hatte sie erfahren, dass ihre Mutter einen Schlaganfall erlitten hatte und teilweise gelähmt war. Rafe hatte ihr angeboten, sie in die Hauptstadt mitzunehmen und sich um den Flug nach Neuseeland zu kümmern.
Er runzelte die Stirn. Wie hieß ihr Mann doch gleich?
Er war erleichtert, dass es ihm schnell wieder einfiel. David Brown – wieder so ein schlichter Name. Er war der wahre Grund für die Reise nach Mariposa gewesen. Der Makler hatte ihn gewarnt, dass David Brown nicht die ideale Besetzung für die Stelle des Verwalters sei.
Browns Reaktion auf das Angebot, seine Frau nach Neuseeland zu bringen, hatte Rafe über die Maßen erstaunt.
„Das wird nicht nötig sein“, hatte er brüsk abgewiegelt. „Mary war
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