Julia Extra Band 362
Haus wurde in den 1920ern errichtet“, erklärte Rafe. „Zur Familie gehörten damals einige sehr hübsche Töchter, denen ihr Vater ein Haus allein zum puren Vergnügen zur Verfügung stellte. Es wurde mit den Jahren renoviert und modernisiert, aber die Substanz und der Stil wurden beibehalten.“
Er klang so nüchtern und sachlich, dass Marisa gerne gewusst hätte, ob er all den Luxus für selbstverständlich hielt. Etwas wehmütig fragte sie sich, wie es wohl war, wenn schon die Vorfahren in solch einem Haus gelebt hatten. Man verfügte auf diese Weise über ein sicheres Fundament für das ganze Leben – einen Ort, den man stets als wahres Zuhause empfinden durfte.
Vor dem weit ausladenden Eingangsportal hielt Rafe an. „Sie müssen hungrig sein. Mir jedenfalls knurrt der Magen“, meinte er, nachdem sie ausgestiegen waren.
„Mir auch“, meldete sich Keir.
„Das dachte ich mir“, sagte Rafe. „Deshalb habe ich meine Haushälterin vorgewarnt, etwas bereitzuhalten, was einem kleinen Jungen schmecken könnte.“ Er senkte die Stimme. „Und vielleicht wollen wir anschließend einen kleinen Strandspaziergang machen“, fügte er, nur für Marisas Ohren, hinzu.
Keir hatte jedoch gelauscht. „Oh ja, wir gehen an den Strand“, rief er vergnügt.
Tonlos sagte Marisa: „Das ist sehr freundlich von Ihnen.“
Falls Rafe ahnte, wie Marisa sich fühlte, war seiner Miene nichts davon anzumerken. Fragend sah er ihr in die Augen. „Tut mir leid, aber ich habe nicht damit gerechnet, dass er jedes Wort mitbekommt. Wenn es heute nicht passt, können wir den Spaziergang ein andermal nachholen.“
Sie versuchte ein neutrales Lächeln. „Wir würden gerne heute an den Strand gehen, nicht wahr, Keir?“
„Oh ja, bitte“, rief er voller Eifer.
Rafe zeigte hinüber zum Haupteingang. „Ah, dort steht Nadine. Sie regiert Manuwai mit strenger Hand.“
Die Haushälterin, eine forsche, schlanke Person Mitte vierzig, lächelte Marisa und Keir freundlich zu. „Hier gibt es nur einen einzigen Chef. Und das bin gewiss nicht ich. Das Essen steht bereit.“
„Danke, vielen Dank“, sagte Marisa. Sie sah Keir an und seufzte, als ihr Blick auf seine Hände fiel. „Aber zuerst einmal werden wir uns die Hände waschen.“
5. KAPITEL
Das Mittagessen wurde in einem sonnigen Zimmer mit weiten Glasschiebetüren eingenommen. Vor den Fenstern lag eine Terrasse, von der aus man grüne Rasenflächen und das Meer überblicken konnte. Obwohl Keir mit der üblichen Begeisterung aß, verrieten seine Äußerungen, dass er sich weit mehr auf den Strand freute als über das Essen.
Nach seinem zweiten Einwand, dass er nun satt sei und sie endlich gehen könnten, kam Rafe Marisas Entgegnung zuvor. „Wir werden zum Strand gehen, wenn wir alle aufgegessen haben und nachdem ich noch einen wichtigen Telefonanruf erledigt habe.“
Keir akzeptierte das ohne Widerspruch. Wieder einmal wurde Marisa daran erinnert, dass sie ihm etwas Lebenswichtiges entzogen hatte, indem sie ihm den Vater vorenthielt.
Seit dem Tod ihres eigenen Vaters im vergangenen Jahr hatte Keir keine männliche Bezugsperson mehr in der Familie. Aus der Art, wie er mit Rafe umging, konnte Marisa unschwer schließen, wie sehr Keir sich über die Gegenwart einer Vaterfigur freute.
Mit den Jahren würde sich dieser Umstand möglicherweise zu einem Problem auswachsen.
„Machen Sie sich keine Sorgen“, warf Rafe ein.
Verwundert sah sie auf. „Tu ich gar nicht“, log sie.
„Die Dinge werden einen positiven Lauf nehmen.“
Sein Gespür für ihre Emotionen ließ sie aufhorchen. Doch es wäre zu einfach, sich auf die Stärke dieses Mannes zu verlassen.
Auf dem Weg hinunter zu den Klippen las Rafe wieder einmal ihre Gedanken. „Für uns war dies immer der Kinderstrand. Er ist absolut sicher.“
„Und wunderschön“, seufzte sie, während sie sich umsah. Der nahtlose Übergang zwischen Land und See, der strahlend blaue Himmel, die roten Klippen, die sich zwischen Bäume mit knorrigen Wurzeln duckten, die salzige Luft, der feine Sand, das Kreischen der Seevögel und ein schier endloser Ozean – das war der Stoff, aus dem das Heimweh der Neuseeländer gestrickt war, die weit weg in der Ferne lebten.
Marisa musste zugeben, dass Rafe sich sehr geschickt im Umgang mit Kindern zeigte, als er Keir dabei half, eine Sandburg zu bauen. Vielleicht hatte er Erfahrung darin, obwohl es eher unwahrscheinlich schien. Aus den Medien hatte sie lediglich erfahren, dass die Frauen,
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