Julia Extra Band 362
jeden Abend beim Dinner zu sehen. Alles andere besprechen Sie bitte mit Nadine.“
Rafe hatte recht. Das Haus war wahrhaftig groß genug für viele Menschen, ohne dass man sich auf die Füße trat. Und es war ja nur vorübergehend. Tagsüber wäre sie ohnehin im Geschäft. Aber was war mit den Abenden und Nächten?
Lange Abende. Keir lag täglich um sieben Uhr im Bett.
Trotz allem – die Vorstellung, jeden Abend mit Rafe beim Dinner zu sitzen, erfüllte sie mit gespannter Erwartung, ein Gefühl, das sie gleichzeitig erschreckte.
6. KAPITEL
Rafe war ein aufmerksamer Gastgeber. Er sorgte dafür, dass es Marisa an nichts fehlte, erzählte ihr Geschichten aus der Gegend, brachte sie sogar zum Lachen. Doch Marisas Reserviertheit vermochte er nicht zu durchbrechen.
„Ist mit dem Nachtisch alles in Ordnung?“, fragte er schließlich, als sie abwesend mit dem Löffel in ihrer Pavlova , dem neuseeländischen Nationaldessert, stocherte.
„Er ist köstlich. Nadine ist eine ausgezeichnete Köchin. Ich habe nur darüber nachgedacht, ob ich kurz nach Keir sehe. Ich möchte nicht, dass er aufwacht und nicht weiß, wo er ist.“
„Nadine hätte uns verständigt, wenn er unruhig geworden wäre. Essen Sie auf, und danach trinken wir noch einen Kaffee.“
„Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich heute darauf verzichte?“
„Sie können tun und lassen, was Sie wollen. Sie sagten selbst, dass es für Sie ein harter Tag war.“ Galant geleitete er sie wenige Minuten später zu ihrer Suite.
Jeder einzelne Schritt verstärkte in Marisa das Gefühl, nur knapp einer Gefahr entkommen zu sein, die sie nicht einmal benennen konnte.
Die Anspannung hatte einen leichten Kopfschmerz verursacht. Was sie sich jetzt wünschte, war ein langer, tiefer Schlaf ohne Gedanken an Feuer und eine ungesicherte Zukunft.
Keir schlief selig, als sie in die Suite kam. Wie immer küsste sie ihn sanft auf die Stirn. Er bewegte sich unter der Decke, und seine Mundwinkel hoben sich zu einem glücklichen Lächeln.
Stunden später lag Marisa in ihrem Bett und starrte noch immer aus dem Fenster hoch zum Mond. Sie fühlte sich mutterseelenallein. Für gewöhnlich brachte eine Sommernacht angenehme Kühle mit sich, nicht aber diese. Verschwitzt und unruhig lag sie da. Wenigstens strömte durch das offene Fenster ein wenig frische Luft herein.
Sie atmete tief durch, hörte das Flüstern der Wellen am Strand und die langen, klagenden Schreie der Wasservögel, nach denen Manuwai benannt war.
Wo Rafe wohl schlief? Unwillkürlich tauchte ein Bild von ihm auf, sein großer starker Körper ausgestreckt auf einem riesigen Bett. Ob er wohl nackt schlief? Eine aufregende Vorstellung. Nach dem Flugzeugabsturz, als er nackt neben ihr gelegen hatte, war sie zu erschöpft und zu besorgt gewesen, um sich darüber Gedanken zu machen. Doch jetzt stellte sie sich vor, welch glühender Liebhaber er wohl wäre …
Entschlossen verscheuchte sie die gefährlichen Gedanken, schob den Vorhang weit zurück, zog sich bis aufs Höschen aus und legte sich wieder ins Bett. Und endlich fiel sie in einen traumlosen Schlaf.
Lautes Klopfen weckte sie. Noch müde sprang sie aus dem Bett.
Keir! dachte sie in Panik. Sie musste seinen Namen gerufen haben, denn sie hörte Rafe durch die Tür sprechen. „Alles in Ordnung. Es geht ihm gut.“
„Was ist denn dann …?“ Marisa riss die Tür auf und blinzelte ihm in der Dämmerung der Eingangshalle entgegen.
Offensichtlich war auch er gerade aus dem Bett gekommen. Er trug lediglich eine Freizeithose, die locker auf den Hüften saß.
Marisas Puls schlug viel zu schnell. Ihre Kehle war trocken. „Was gibt es?“, brachte sie heraus.
„Joe Tanner hat soeben angerufen.“ Er griff nach ihren nackten Armen. „Schlechte Nachrichten“, sagte er heiser. „Das Feuer ist wieder aufgeflammt. Die Garage ist niedergebrannt.“
Verständnislos und benommen sah sie ihn an, als er fortfuhr: „Alles ist zerstört. Als die Feuerwehr angerückt ist, war die Garage schon bis auf das Fundament niedergebrannt.“
Ihr Herz drohte stillzustehen. Jedes Andenken an ihre Eltern, an Keirs junges Leben wäre damit für immer verschwunden.
Marisa begann zu schluchzen.
Im selben Augenblick hielt ein starker Arm sie umfangen, und Rafe versuchte, sie zu trösten. „Sie müssen sich nicht immer stark zeigen. Lassen Sie Ihren Tränen freien Lauf.“
Sie konnte nicht aufhören zu weinen. Nicht einmal, als er sie emporhob und sie zum Bett zurücktrug. Er
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