Julia Extra Band 362
Zara wusste nicht so genau, wie sie es besser ausdrücken sollte.
„Ich mochte die Geheimnistuerei nicht, und es fühlt sich komisch an, mit ihr zusammen zu sein. Als Kind habe ich sie gar nicht richtig gekannt, zumal ich von meinem elften Lebensjahr bis vor Kurzem keinerlei Kontakt zu ihr hatte. Und ich wollte auch keinen. Wir haben vieles aufzuarbeiten, aber ich habe auch Dinge von ihr erfahren, für die ich dankbar bin“, sagte er und begleitete sie die Marmortreppe hinauf in den ersten Stock. „Macht es dir etwas aus, wenn ich schnell dusche? Ich habe das Gefühl, dass alles an mir klebt.“
„Nein, gar nicht. Was hast du von Paola erfahren?“, fragte sie neugierig, während er die Tür zu ihrem gemeinsamen Schlafzimmer öffnete.
„Dass mein Vater während ihrer ganzen Ehe eine Geliebte hatte.“ Vitale wirkte wütend. „Er hat meine Mutter nur geheiratet, um Kinder zu zeugen, und er hat sie nicht besonders gut behandelt. Es ist kein Wunder, dass die Ehe kaputtging und Paola völlig auf die schiefe Bahn geriet, weil ihr Selbstbewusstsein so am Boden war.“
„Aber es war für euch beide eine Tragödie … und für deine Schwester auch“, erwiderte sie. „Wie kam es, dass deine Mutter wieder zu einem Teil deines Lebens wurde?“
„Zuerst sprach mich vor ein paar Jahren ein Sozialarbeiter an, aber zu diesem Zeitpunkt wollte ich nichts mit ihr zu tun haben“, gab Vitale zu und legte sein Jackett ab. „Dann bin ich dir begegnet, und ich fing an zu begreifen, dass Menschen komplexer sind, als ich bisher annahm.“
„Was habe ich denn damit zu tun?“, fragte Zara perplex.
„Ich habe immer sehr schwarz-weiß gedacht. Aber Menschen sind ganz selten wirklich gut oder vollkommen böse. Meistens sind sie eine Mischung aus beidem, und wir alle machen Fehler. Immerhin habe ich einen großen Fehler begangen, indem ich dich benutzt habe, um damit deinen Vater zu treffen“, gestand er grimmig. „Das war falsch.“
„Und ich dachte schon, du würdest es nie zugeben.“ Zara legte sich aufs Bett, stützte ihr Kinn auf eine Hand und schaute ihn erwartungsvoll an. „Wann bist du zu dieser Einsicht gelangt?“
Vitale blickte sie amüsiert an. „Es gab ein paar hilfreiche Hinweise, il mio angelo . Zum Beispiel die Tatsache, dass du mir schon nach einem Wochenende unter die Haut gegangen warst, obwohl ich all meine Chancen bei dir verspielt hatte. Dann habe ich erfahren, dass du schwanger bist, und du hast mir gleichzeitig gesagt, dass du mich hasst und mir misstraust. Zu guter Letzt hast du auch noch auf einer lächerlichen dreimonatigen Probezeit unserer Ehe bestanden, damit du, falls nötig, wieder aus der Geschichte rauskommst. Hältst du mich für so dumm, dass ich daraus nicht lernen würde?“
„Ich würde es niemals wagen, dich für dumm zu halten …“
„Das war ich aber, zumindest, wenn es darum ging, meine Gefühle zu verstehen“, unterbrach Vitale, löste seine Krawatte und warf sie achtlos zur Seite. „Als Kind war es sicherer, meine Emotionen zu unterdrücken, weil sie mich nur noch verletzlicher machten.“
„Das verstehe ich“, sagte Zara, hob seine Krawatte auf und runzelte die Stirn.
„Also gut, ich bin unordentlich“, gab er zu und winkte ungeduldig ab, denn seine Erklärung war ihm gerade wichtiger als alles andere. „Als Erwachsener habe ich meine Gefühle nie klar erkannt, Zara. Genauso wenig wie ich wusste, was ich für meine Mutter empfinde, bis es beinahe zu spät war, sie noch kennenzulernen. Dann kontaktierte mich dieses Jahr ein Priester, der mit meiner Mutter während ihres Entzugs zusammengearbeitet hatte. Mittlerweile warst du in mein Leben getreten, und ich war eher bereit, zuzugestehen, dass ich vielleicht nicht alles weiß und mir anhören sollte, was er zu sagen hatte.“
„Ich verstehe immer noch nicht, was ich damit zu tun habe“, wandte sie ein und legte seine Krawatte betont ordentlich über eine Stuhllehne, in der Hoffnung, dass er es sich abschauen würde.
„Nun, nachdem ich mich in dich verliebt hatte, waren die Tore geöffnet!“, versetzte er spöttisch. „Ich meine, ich habe sogar gelernt, Fluffy zu mögen. Die Liebe für dich hat es leichter gemacht, die Bedürfnisse meiner Mutter zu verstehen. Plötzlich war es nicht mehr so schwer, ihr entgegenzukommen …“
Zara blinzelte und starrte ihn mit ihren großen lavendelblauen Augen ungläubig an. „Du hast dich in mich verliebt … wann ?“
Ein unverschämtes Grinsen spielte um seine
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