Julia Extra Band 362
höchstens versuchen, sich irgendwie zu behaupten. Mit hoch erhobenem Kopf, den Blick stur geradeaus gerichtet, ging sie zügig an ihm vorbei in den Waschraum, wo sie sich mit heftigem Herzklopfen gegen die Tür sinken ließ.
Das musste aufhören. Sofort.
Er war der Feind. Und zwar ein sehr gefährlicher Feind. Es war schlicht kontraproduktiv, dass sie sich von ihm angezogen fühlte. Ausgerechnet sie, die sich noch nie für böse Jungs interessiert hatte, nicht einmal in der Pubertät, wo so etwas schon mal vorkommen konnte. Böse Jungs waren stets Sukis Spezialität gewesen.
Nach ein paar tiefen Atemzügen löste sich Rachel von der Tür und sah sich um. Waschbecken und Waschtisch waren aus Marmor, außerdem gab es eine Duschkabine aus Glas, eine Toilette und Schränke mit Glastüren, hinter denen ordentlich gestapelt Badetücher lagen, originalverpackte Seifenstücke, in Zellophan eingeschweißte Zahnbürsten und alles Mögliche mehr.
Rachel hatte große Lust, zu duschen, aber das kam natürlich nicht infrage. Allein der Gedanke, sich nackt auszuziehen, erinnerte sie sofort wieder an das, was am Morgen passiert war. Oder gestern, die Zeitverschiebung mitgerechnet. Egal wann. Entscheidend war nur, dass es überhaupt passiert war. Der Kuss. Seine Hände auf ihren Brüsten, seine Finger, die ihre plötzlich hart gewordenen Brustwarzen berührten, die feuchte Hitze, die sich in ihrem Unterleib gestaut hatte. In ihrer Kehle stieg ein Stöhnen auf. Sie schluckte es hinunter. Solche Gedanken waren nur Zeitverschwendung!
Sie musste aufmerksam bleiben. Erst einmal musste sie sich zurechtmachen, sie sah ja furchtbar aus. Erbärmlich. Ihre Augen waren gerötet, das Gesicht war bleich vor Erschöpfung, der Pferdeschwanz zerzaust. Deshalb machte sie sich eilig ans Werk, benutzte die Toilette, ließ Wasser ins Waschbecken laufen. Wusch sich Gesicht und Hände mit einer Seife, die nach Zitronen duftete. Putzte sich die Zähne. Kämmte sich das Haar und machte sich wieder einen Pferdeschwanz, aber einen ordentlichen. Dann warf sie einen letzten Blick in den Spiegel.
„Besser“, sagte sie. Nicht viel zwar, aber immerhin etwas. Kopf hoch. Tief durchatmen. Sie straffte die Schultern, öffnete die Tür und begann den Gang hinaufzugehen. In diesem Moment geriet das Flugzeug in eine Turbulenz. Rachel taumelte, aber sie schaffte es mit knapper Not, sich auf den Beinen zu halten. Das Problem war nur, dass sie genau in dem Moment auf einer Höhe mit Karim war. Nicht schon wieder, schoss es ihr durch den Kopf, als sich seine Hand um ihr Handgelenk legte.
Der Panther hatte auf der Lauer gelegen.
Seine Finger lagen warm und hart auf ihrer Haut. Rachel schaute ihn an. Er erwiderte ihren Blick. Sag etwas, befahl sie sich selbst und zwang sich zu einem höflichen Lächeln. „Danke.“
„Erstaunlich.“
„Was?“
„Das Wort Danke aus Ihrem Mund überrascht mich.“ Er lächelte ein angedeutetes Lächeln, das aus nicht mehr als einem kaum wahrnehmbaren Heben der Mundwinkel bestand, aber es wirkte so vertraut und sexy, dass Rachel sich für einen kurzen Moment wünschte, es zu erwidern. Was sie natürlich nicht tat. Weil er sonst aus seinem zweifellos beträchtlichen Vorrat wahrscheinlich gleich das nächste Lächeln hervorzaubern würde – nur, um sie zu verwirren.
„Gut Ding braucht Weile“, konterte sie kühl.
Diesmal grinste er anerkennend. „Nicht schlecht“ Er zupfte leicht an ihrer Hand. „Kommen Sie, setzen Sie sich ein bisschen zu mir.“
„Danke, ich stehe gut.“
„Das ist jetzt innerhalb kürzester Zeit schon das zweite Danke. Bitte setzen Sie sich. Besser so?“
Was nun? Was würde er tun, wenn sie sich weigerte? Würde er sie gehen lassen oder sie zwingen, sich neben ihn zu setzen? Da sich ein Machtkampf hier nicht lohnte, zuckte Rachel die Schultern und erfüllte ihm seine Bitte.
„Gut“, sagte er und ließ ihr Handgelenk los. „Moira bringt uns Kaffee. Und etwas zu essen.“
„Sie bringt mir Kaffee an meinen Platz. Und ich bin nicht hungrig.“
„Seien Sie nicht töricht, Rachel. Natürlich sind Sie hungrig. Außerdem ist es in meinem Land eine Beleidigung, wenn man sich weigert, das Brot mit jemandem zu teilen.“
„Wir sind aber nicht in Ihrem Land.“
„Wenn Sie sich da mal nicht gewaltig irren.“
Die Stewardess kam mit einem Servierwagen, auf dem mehrere Teller mit Obst, Käse und belegten Brötchen standen sowie ein silbernes Kaffeeservice. Rachel hörte peinlich berührt, dass ihr
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