Julia Extra Band 365
ihr noch nicht vollständig offenbart hatte, war ihr natürlich klar. Irgendetwas behielt er für sich, was und warum, konnte sie nicht sagen. Jedenfalls wollte sie keine Nähe erzwingen, wenn sozusagen die Verbindung über den trennenden Fluss zwischen ihnen noch keine Brücke, sondern nur ein Seil war, auf dem man sehr vorsichtig balancieren musste.
Wenn Brody an ihr interessiert war, würde er sich weiter öffnen. Wenn nicht … jedenfalls wollte sie sich nicht in einen Mann verlieben, der ihr ein Rätsel war. Das hatte ihre Mutter gemacht – und bitter bereut.
Den Fehler vermeide ich unter allen Umständen, schwor Kate sich.
Die Fahrt durch den sonnigen Herbsttag verlief sehr angenehm. Sie unterhielten sich angeregt. Brody erzählte ihr von seiner geplatzten Verlobung, Kate gestand, dass sie ebenfalls von der Liebe enttäuscht worden war. Das hatten sie also gemeinsam.
Es blieb aber nicht bei so ernsthaften Themen. Oft genug machten sie scherzhafte Bemerkungen, und manchmal schien es beinah, als würden sie flirten, fand Kate.
Als sie sich dem Ziel näherten, war sie fast enttäuscht darüber, dass die Fahrt zu Ende ging.
Die gesuchte Adresse lag an einem Platz namens Columbian Square, der von schönen alten Häusern umgeben war. In mehreren befanden sich Geschäfte, gegenüber dem Laden gab es ein Kino aus den Zwanzigerjahren.
„Ach, ist das hübsch hier“, rief Kate. „Richtig malerisch.“
„Ja, genau richtig für eine Filiale von Nora’s Sweet Shop“, stimmte Brody ihr zu und stieg aus.
Er ging um den Wagen und öffnete ihr die Beifahrertür. Kate stieg ebenfalls aus.
Ein dunkelhaariger Mann kam die Straße entlanggeeilt, in der linken Hand eine Aktentasche. Die freie Hand hielt er Kate hin.
„Guten Tag. Ich bin Bill Taylor. Sie müssen Miss Spencer sein!“
„Ja, die bin ich. Besitzerin von Nora’s Sweet Shop in Newton. Wir haben heute Vormittag telefoniert. Danke, dass Sie sich an einem Samstag Zeit für uns nehmen.“
„Oh, keine Ursache!“ Bill Taylor schüttelte ihr und Brody die Hand, dann schloss er den Laden auf. „Die Gegend ist ideal für ein Geschäft mit Süßigkeiten, denn gleich um die Ecke liegt das Krankenhaus. Da besteht immer Nachfrage nach netten kleinen Aufmerksamkeiten.“
Die Räumlichkeiten lagen nicht nur ideal, sie ließen auch sonst keinen Wunsch offen. Da sich hier vorher ein Delikatessenladen befunden hatte, gab es sogar eine Küche, die mit wenig Aufwand in eine Backstube umfunktioniert werden konnte.
„Ich bin zwar kein Experte, aber das sieht doch alles einfach perfekt aus“, meinte Brody zu Kate.
„Genau! Die richtige Stadt, die richtige Lage und die richtigen Räumlichkeiten“, stimmte sie zu.
„Sie nehmen den Laden also?“, fragte Bill erfreut und zog schon ein Formular aus seiner Aktentasche.
Kate sah sich im Laden um. Jetzt war der Moment gekommen, aktiv zu werden, den Schritt vorwärts zu wagen – aber die Nerven machten ihr einen Strich durch die Rechnung.
„Ich … ich weiß nicht … Ich brauche Bedenkzeit“, sagte sie rau.
Sie bedankte sich bei Bill, versprach ihm, sich mit allen noch offenen Fragen an ihn zu wenden, und ging zurück zum Wagen.
„Warum haben Sie kein Angebot gemacht?“, wollte Brody wissen, als sie auf der Rückfahrt waren. „Sie haben doch selbst gefunden, der Laden wäre perfekt.“
„Ja, aber es ist nicht der ideale Zeitpunkt, um das Geschäft zu expandieren“, erklärte Kate ruhig.
Oder war das nur eine Ausflucht, um sich vor der Entscheidung zu drücken?
„Möchten Sie darüber reden, Kate?“
Nein, sie wollte nicht, aber da Brody so nett war, sie in der Gegend herumzufahren, verdiente er eine Erklärung. Vielleicht half ihr das ja sogar, ihre Vorbehalte zu überwinden?
„Es ist einfach Furcht einflößend, einen so entscheidenden Schritt zu machen“, gab Kate ehrlich zu. „Ich bin nicht sicher, ob ich schon dafür bereit bin. Wenn ich eine Filiale gründe, muss ich mich um beide Läden kümmern, und woher soll ich die Zeit nehmen? Ich habe jetzt schon alle Hände voll zu tun.“
„Demnächst kommt doch Ihre Assistentin zurück, dann haben Sie wieder mehr Zeit zur Verfügung“, ermunterte er sie. „Ich finde ebenfalls, dass es Angst macht, wenn man eine weitreichende Entscheidung treffen soll. Man kann Erfolg haben – oder versagen. Das weiß man aber erst, wenn man es probiert hat.“
Erfolg oder Versagen. Beide Möglichkeiten ließen sie erschauern.
„Wie haben Sie es
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