Julia Extra Band 370
Pfeilern gesäumten Treppenaufgangs wartete eine Frau in den Dreißigern. Das lange Haar trug sie hochgesteckt, und ihr elegantes graues Kleid schien eine Art Uniform zu sein.
„Kommen Sie, ich möchte Ihnen Vanessa vorstellen“, sagte Titus.
Nachdem Roxy in ihre warme Jacke geschlüpft und ausgestiegen war, ging sie zwei Schritte hinter Titus die Treppe hinauf.
„Schön, Sie wieder hier zu haben, Hoheit“, begrüßte ihn die Frau mit sanfter Stimme. „Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Fahrt?“
„Ja, danke, Vanessa“, antwortete Titus. „Es war erfreulich wenig Verkehr.“
Roxy blinzelte entgeistert. Hoheit ? Wo war sie denn hier gelandet? Aber ihr blieb keine Zeit, sich noch länger zu wundern, weil Titus bereits die Vorstellung übernommen hatte.
„Das ist Roxanne“, sagte er zur Haushälterin. „Ich habe sie am Telefon bereits erwähnt. Sie ist eine erfahrene Reinigungskraft, aber denken Sie bitte daran, dass sie eben erst sehr krank war und sich noch etwas schonen sollte.“
„Selbstverständlich.“ Vanessa warf Roxy ein schwaches Lächeln zu. „Willkommen auf Valeo, Roxanne. Wir haben schon alle Hände voll mit den Festvorbereitungen zu tun und sind für jede Hilfe dankbar.“
Roxy, die sich plötzlich seltsam beraubt fühlte, nickte. Jetzt war sie nur noch eine Aushilfskraft, die hier war, um zu arbeiten. Auf die Gesellschaft des Hausherrn würde sie künftig verzichten müssen. Sie zwang sich, Vanessas Lächeln zu erwidern. „Danke. Ich … ich freue mich, hier arbeiten zu dürfen.“
„Gut. Dann schlage ich vor, dass wir erst kurz ins Haus gehen, da können Sie sich schon mal einen ersten Eindruck verschaffen.“
„Gern“, sagte Roxy. Als sie aufschaute, ertappte sie Titus dabei, dass er sie ansah. Prompt bekam sie Herzklopfen, aber sie schaffte es dennoch, seinen Blick höflich lächelnd zu erwidern und zu sagen: „Vielen Dank nochmal für alles, ahm … äh … Hoheit.“
„Keine Ursache“, kam es kühl zurück.
Nach diesen Worten drehte er sich um und verschwand im Haus. Roxy stand noch einen Moment da, wobei sie sich fast wie ein kleines Kind fühlte, dem seine Schmusedecke abhandengekommen war.
„Kommen Sie, lassen Sie uns auch reingehen“, sagte die Haushälterin.
Beim Anblick der riesigen Eingangshalle musste Roxy an ihre Schulausflüge ins Britische Museum denken. Ein breiter, von wuchtigen Alabaster-Säulen gestützter Treppenaufgang aus Marmor führte in den ersten Stock. Die hohen Decken waren mit vergoldetem Stuck verziert. An den holzgetäfelten Wänden hingen kostbare Wandteppiche, und das glitzernde Licht der Kronleuchter brach sich auf dem spiegelblanken Marmorfußboden.
Am beeindruckendsten aber waren die schieren Ausmaße des Hauses, diese unfassbaren Dimensionen, bei deren Anblick sich die Wahrnehmung zu verzerren schien. Am Fuß der Marmortreppe stand ein Stuhl, der inmitten der Weite des Raums wie ein Puppenstuhl wirkte.
Wahnsinn, dachte Roxy erschlagen, aber sie schien laut gedacht zu haben, weil Vanessa lächelte.
„Ja, das ist wirklich beeindruckend. Ich konnte mein Glück kaum fassen, als ich hörte, dass ich hier arbeiten darf.“
Roxy nickte. „Das kann ich gut verstehen. Wie viele Gäste werden zu dem großen Ereignis denn erwartet?“
„Bis jetzt sind es ungefähr dreihundertfünfzig.“
„Ach du meine Güte“, entschlüpfte es Roxy. „Er scheint ja eine Menge Freunde zu haben.“
Für einen Sekundenbruchteil herrschte ein leicht angespanntes Schweigen. „Das ist privat und geht uns nichts an“, wurde sie gleich darauf belehrt. „Aber Sie werden sowieso so viel zu tun haben, dass Sie sich über das Privatleben von Seiner Hoheit keine Gedanken machen können. So, und jetzt zeige ich Ihnen, wo Sie wohnen. Es ist nur ein kurzer Fußweg von hier.“
Als sie das Haus verließen, fuhr Roxy ein eisiger Wind in die Glieder. Am Himmel hingen dunkle Wolken, aber es war wohl zu kalt, um zu schneien. Die Angestelltenquartiere waren kleine Cottages, mit so niedrigen Haustüren, dass Roxy beim Eintreten den Kopf einziehen musste. Im Innern war das Häuschen, dessen kleine Fenster sich in die flache Landschaft von Norfolk öffneten, einfach, aber praktisch eingerichtet. Die Couch im hinteren Teil des Wohnraums zierte ein grünes Plüschkrokodil. Auf dem Esstisch stand eine benutzte Kaffeetasse, mit einer angebrochenen Kekspackung daneben, was Vanessa zu einem missbilligenden Schnauben veranlasste.
„Sie teilen sich das Cottage mit Amy.
Weitere Kostenlose Bücher