Julia Festival Band 0103
„Amber, ich habe dir doch bereits gesagt, dass es nicht geht. Ich fahre in den Winterurlaub.“
Amber sah in den Spiegel neben dem Telefon und erkannte sich selbst kaum wieder, so blass und verschreckt sah sie aus. „Aber du bist doch noch nie in den Winterurlaub gefahren!“
„Ich weiß“, erwiderte Ursula verbittert. „Ich laufe auch nicht Ski, ich gehe nicht mit Männern aus, ich zupfe mir nicht die Augenbrauen, ich frühstücke nicht im Bett …“
„Das würde ich dir auch wirklich nicht raten!“
Ursula ging auf die Bemerkung nicht ein. „Und ich werde dreißig!“
„Aber doch erst in zwei Jahren! So darfst du nicht denken, Ursula, du bist so jung, wie du dich fühlst.“ Dass Ursula vom Älterwerden sprach, machte Amber noch mehr Angst, denn es ließ die Zukunft noch düsterer scheinen, als sie sowieso schon war.
„Egal.“ Ursula ließ Ambers Argumente nicht gelten. „Es wird allerhöchste Zeit, dass ich die Dinge endlich mache, von denen ich bisher nur geträumt habe.“
„Gibt es einen Grund für diesen plötzlichen Sinneswandel, Ursula?“
Ursula antwortete nicht gleich. „Ja, aber ich möchte nicht darüber sprechen“, sagte sie schließlich.
„Hat es etwas mit Ross Sheridan zu tun?“
„Kein Kommentar, Amber, wirklich nicht. Und jetzt muss ich mich beeilen.“
„Natürlich.“ Amber versuchte, sich ihre Gereiztheit nicht anmerken zu lassen, zu der sie, wie sie wusste, keinerlei Grund hatte. Sie war es einfach nicht gewöhnt, dass Ursula für sie, die kleine Schwester, keine Zeit hatte, das war alles. Sie, Amber, war diejenige, die immer im Mittelpunkt stand, die immer etwas vorhatte. Ursula war die große Schwester, die stets für sie da war. Aber diese Rollenverteilung schien plötzlich der Vergangenheit anzugehören. „Ich hatte fest damit gerechnet, dass du kommst“, meinte Amber bekümmert.
„Warum denn das?“ Ursula lachte. „Du willst doch wohl nicht behaupten, dass du mich zum Händchenhalten brauchst? Es ist Finns Silvesterparty, und du bis jetzt seine Verlobte. Denk nur an die vielen neidischen Blicke, die du ernten wirst. Die schönsten Frauen der Welt werden sich fragen, wie ausgerechnet du es geschafft hast, dir einen der begehrtesten Junggesellen Londons zu angeln.“
„Das wüsste ich manchmal auch gern.“ Amber seufzte.
„Wenn du darauf aus bist, Komplimente zu hören, muss ich dich leider enttäuschen, Amber, dazu habe ich momentan nämlich wirklich keine Zeit.“
„Schon gut.“
Das klang so verzagt, dass Ursula stutzte. „Das sieht dir ja gar nicht ähnlich, dass du mir zustimmst. Was ist los, Amber?“
Früher hätte Amber sich ihrer Schwester anvertraut, doch diese Zeiten waren endgültig vorbei. Sie, Amber O’Neil, war jetzt kein unsicherer Teenager mehr, sondern eine erwachsene Frau, die mit ihrem Leben allein fertigzuwerden hatte. Sie konnte nicht mehr mit jeder Kleinigkeit zu ihrer großen Schwester rennen. Und welche Hilfe konnte sie auch von einer Schwester erwarten, die höchstwahrscheinlich immer noch Jungfrau war?
Wie würde Ursula darauf reagieren, wenn sie ihr erzählte, dass Finn sie, seine Verlobte, die Frau, die er heiraten wollte, schon seit Tagen nicht mehr angerührt hatte? Dass er ungerecht und aufbrausend war? Dass sie Angst hatte, Finn wolle sie loswerden, und dass sie sich aus diesem Grund nicht traute, rückhaltlos und offen mit ihm zu sprechen?
Amber riss sich zusammen. „Nichts ist los, Ursula“, antwortete sie ihrer Schwester betont fröhlich. „Worüber sollte ausgerechnet ich mich schon zu beklagen haben?“
„Genau“, stimmte Ursula ihr aus ganzem Herzen zu. „Du hast Finn und bist damit die beneidenswerteste Frau der Erde. Komm gut ins neue Jahr – ich melde mich sofort, wenn ich wieder zurück bin.“
„Wo fährst du überhaupt hin?“ Amber verspürte Gewissensbisse, weil sie sich bisher gar nicht für die Pläne ihrer Schwester interessiert hatte.
„Nach Prag.“
„Warum ausgerechnet nach Prag?“, fragte Amber irritiert.
„Warum nicht?“, erwiderte Ursula unbeeindruckt. „Wahrscheinlich, weil Prag nun mal da ist.“
„Hat das nicht der Bergsteiger geantwortet, den man fragte, warum es denn unbedingt der Mount Everest sein müsse?“
„Gut aufgepasst, kleine Schwester!“ Ursula lachte. „Und ich hatte gehofft, du wärst von meiner geistreichen Antwort beeindruckt!“
Amber legte auf und ging vom Flur ins Wohnzimmer. Aber sie fand keine Ruhe, sie hatte das Gefühl, nicht
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