Julia Festival Band 86
schmal. Daran gab es nichts auszusetzen. Lucinda drehte sich etwas. Ja, ihr Po war auch okay. Außerdem hatte sie wirklich ausgesprochen lange Beine.
Nein, sie konnte es unmöglich tun!
Willst du den Job, Lucinda?, überlegte sie.
Ja, den wollte sie unbedingt. Mrs. Romano, die nette alte Lady, die das Vorstellungsgespräch geführt hatte, hatte sich von ihrer mangelnden Erfahrung nicht abschrecken lassen.
„Das ist egal“, hatte sie gesagt. „Mein Enkel ist nicht anspruchsvoll, Luciana.“
„Ich heiße Lucinda“, erwiderte Lucinda höflich. „Er ist nicht anspruchsvoll?“
„Nein. Wissen Sie, er braucht Sie.“
„Er braucht mich? Wie meinen Sie das?“
„Er ist ein sehr beschäftigter Mann und viel unterwegs. Molto importante, richtig? Aber es fehlt etwas in seinem Leben.“
„Eine Köchin?“
„Genau. Er isst nicht vernünftig. Er isst kein Gemüse.“
„Gemüse.“ Zumindest Salate konnte sie wirklich zubereiten.
„Sie werden gern für ihn arbeiten, Luciana.“
„Lucinda.“
„Natürlich … Lucinda. Er ist sehr umgänglich, liebenswürdig und charmant.“ Seufzend faltete Mrs. Romano die Hände. „Er ist fürsorglich und feinfühlig. Mein Joseph ist der feinfühligste Mann in ganz San Francisco.“
Sie, Lucinda, hatte verstanden, was Mrs. Romano damit gemeint hatte. Ihr neuer Arbeitgeber war homosexuell, und das machte den Job für sie umso attraktiver. Ein wohlhabender Homosexueller, der viel auf Reisen war, war ein angenehmer Boss. Es gab viele Homosexuelle in San Francisco, und alle, die sie bis jetzt kennengelernt hatte, waren zurückhaltend, liebenswürdig und nett.
Aber auch nett genug, um sie ohne Zeugnis einzustellen? Nein, dachte sie und wusste, was sie zu tun hatte.
Lucinda strich sich einige Male mit den Fingern durchs Haar, bis es den etwas zerzausten Look bekam, den sie bei Frauen auf Werbefotos in Zeitschriften gesehen hatte. Doch wie sollte sie sich schminken? Sie benutzte nur selten Makeup und hatte keine Utensilien dabei.
Sie warf einen Blick in die Schachtel, in der das Kostüm gewesen war, und entdeckte ein Kosmetiktäschchen. Sie trug etwas Lidschatten auf, benutzte den Eyeliner und biss sich auf die Lippen, damit sie sich röteten. Dann setzte sie das Diadem auf und betrachtete sich im Spiegel.
Etwas stimmte noch nicht. Aber was? Ihre Frisur war okay. Die Brille hatte sie abgenommen. Das Kostüm saß auch ganz passabel. Doch ihr war, als hätte sie etwas vergessen.
„Was ist, Miss Barry?“ Florenze klopfte an die Tür. „Beehren Sie uns nun mit Ihrer Gegenwart?“
Lucinda atmete tief durch und ging aus dem Badezimmer, bevor sie der Mut verließ.
„Sehr vernünftig von Ihnen.“ Er lächelte zufrieden.
Sie blieb vor ihm stehen. „Dreihundert Dollar, oder ich rühre mich nicht von der Stelle.“
„Reden Sie keinen Unsinn.“
„Dreihundert Dollar.“
Nervös zupfte er an seinem dünnen Schnurrbart. „Zweihundert.“
„Zweihundertfünfzig.“
„Hören Sie …“ Er verstummte. Offenbar hatte er in ihrem Blick gelesen, wie ernst es ihr mit der Forderung war. „Gut, und jetzt beeilen Sie sich.“
Kaum hatte sie ihren Platz eingenommen, schob Florenze den Servierwagen an, und ihr wurde noch elender zumute. Die Musik und das allgemeine Gelächter drangen immer lauter an ihr Ohr, und dann gab es einen gewaltigen Trommelwirbel.
„Gentlemen“, erklang eine tiefe Stimme, „auf Arnie und den Verlust seiner Freiheit.“
„Auf Arnie.“
„Jetzt, Miss Barry“, zischte Florenze.
Lucinda atmete tief durch und tauchte, die Arme graziös nach oben schwingend, aus der Torte auf. Entsetzt merkte sie dann, dass sie irgendwo festhing. Und während sie noch mit der Pappe kämpfte, geschahen zwei Dinge fast gleichzeitig.
Sie stellte erschrocken fest, dass sie noch immer ihre bequemen, flachen weißen Schuhe trug. Und ein schwarzhaariger Mann mit blauen Augen kam auf sie zu.
„Legen Sie mir die Arme um den Nacken, Schätzchen.“
„Ich bin nicht Ihr Schätzchen und brauche auch Ihre Hilfe nicht.“
Sie versuchte, seine Hände abzuwehren, doch er hob sie unter dem Gejohle der anderen einfach hoch.
„Nichts wie ran, Joe“, rief einer von ihnen, und der große Fremde blickte ihr tief in die Augen.
„Ich mag Ihre Schuhe“, sagte er. Und als die Partygäste ihn weiter anfeuerten, neigte er den Kopf, presste die Lippen auf ihre und küsste sie.
3. KAPITEL
Joe erwachte am nächsten Morgen mit heftigen Kopfschmerzen und dem unguten Gefühl, sich am
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