JULIA GOLD Band 32
Haustier. Nein, er wünschte sich einen Daddy.
Der Weihnachtsmann hatte sie über Bens Kopf hinweg angesehen, und sie hatte das Gefühl gehabt, ein totaler Versager zu sein. Am schlimmsten aber war der Weihnachtstag gewesen. Bens Enttäuschung zu erleben, dass der Weihnachtsmann seinen einzigen Wunsch nicht erfüllt hatte. Der Junge hatte jämmerlich geweint.
Bens Tränen hatten sie fast umgebracht und waren ausschlaggebend für ihre Entscheidung gewesen, Stans Heiratsantrag anzunehmen.
„Was hat er sich gewünscht?“ Kahlil ließ nicht locker.
„Eine Familie“, erwiderte sie leise und wich seinem Blick aus.
„Warum bist du nicht zu mir gekommen?“
Sie schüttelte den Kopf, blind vor Tränen.
Eine Minute verging, bevor Kahlil weitersprach. „Ich weiß nicht, was mich wütender macht. Die Tatsache, dass du mein Kind vor mir versteckt hast, oder dass ein fremder Mann die Vaterrolle übernehmen soll.“
Der Kummer in der Stimme des Mannes, den sie einst so sehr geliebt hatte, brach ihr fast das Herz.
Kahlil stieß einen verzweifelten Seufzer aus. „Dir fällt offensichtlich keine Entschuldigung ein.“
„Jedenfalls keine, die du akzeptieren würdest.“
Er drehte sich langsam zu ihr um und sah sie an. „Du und ich, Bryn das wäre die Familie gewesen, die er braucht.“
Tränen rollten ihr über die Wangen. Sie selbst hatte sich auch eine richtige Familie gewünscht. Das war etwas, was sie nie gehabt hatte, nicht, nachdem ihre Eltern gestorben waren – und deshalb war es genau das, was sie sich am meisten für Ben wünschte, und was sie sich selbst am meisten gewünscht hatte, als sie Kahlil geheiratet hatte. Aber es hatte nicht funktioniert.
Kahlil presste die Hände aneinander. „Ich danke Allah, dass ich meinen Sohn gefunden habe. Ich werde alles für ihn tun, aber du … das ist eine andere Geschichte.“
Kurz vor dem Abflug hatte er sich in dem luxuriösen Schlafabteil des Privatjets umgezogen. Er hatte das weiße Hemd ausgezogen und trug jetzt einen schwarzen Rollkragenpullover und einen schwarzen Blazer. So ganz in Schwarz gekleidet, von Kopf bis Fuß, wirkte er dunkel und mächtig, ein rachsüchtiger Ritter.
„Hast du Angst, Frau?“, murmelte er mit tiefer Stimme.
Er wusste, dass sie selbst in dieser Situation auf seine erotische Ausstrahlung reagierte. Ihre Sinne waren hellwach, ihre Emotionen aufgewühlt. Das Blut stieg ihr in die Wangen, und sie senkte den Kopf. Ihr Herz raste.
Und Kahlil, das wusste sie, beobachtete sie.
Er war ein Mann, der Soziologie, Anthropologie und Psychologie studiert hatte, bevor er sein Studium in Rechts- und Wirtschaftswissenschaft beendete, und hatte die Kunst des Beobachtens für sich perfektioniert. Diese Fähigkeit erwies sich oft als sehr nützlich für ihn, denn er wusste, was Menschen fühlten, noch bevor sie es selbst wussten.
Er erkannte ihre Sehnsucht, ihre Angst, ihr schlechtes Gewissen. Er wusste, dass er sie ihrer Welt entrissen und zurück in seine gezogen hatte. Die Rückkehr nach Zwar war wie eine Heimkehr in das finstere Mittelalter. Die Sitten dort waren teilweise barbarisch, vor allem in Bezug auf Frauen. Doch in seinem Land herrschte auch eine besondere Sinnlichkeit. Wärme und Leidenschaft. Magie und Geheimnis. Hier fühlte er sich zu Hause. Auch sie hatte sich dort wohlgefühlt, bis sie ihr Vertrauen dem absolut falschen Mann geschenkt hatte.
Amin.
Wenn sie mit ihren Sorgen doch nur zu Kahlil gegangen wäre, wenn sie doch nur geduldiger gewesen wäre, weniger fordernd.
Amin zu vertrauen, war ein großer Fehler gewesen. Sie hätte ebenso gut ihren Kopf in den Rachen eines Löwen stecken können. Löwen beißen – und genau das hatte Amin getan.
Kahlil beobachtete sie. Er bemerkte die unterschiedlichsten Emotionen. Hoffnung spiegelte sich in ihrem Gesicht wider, Wut, Angst, Verzweiflung. Im Moment war es Sorge. Gut so. Sie hatte allen Grund, sich Sorgen zu machen. Große Sorgen.
Was hatte sie sich dabei gedacht, ihm seinen Sohn vorzuenthalten?
Er hatte sich damals in ihre Unschuld verliebt, in ihr Lachen und ihre Intelligenz, doch jetzt fragte er sich, ob alles eine Illusion gewesen war. Hatte ihre Schönheit ihm den Kopf verdreht? War alles mehr Schein als Sein?
Er schluckte. Innerlich schäumte er vor Wut, und es fiel ihm schwer, Ruhe zu bewahren. Er fühlte sich wie ein Kessel, in dem Wasser brodelte und der überzukochen drohte. Sein Blick fiel auf den blonden Kopf, der sich über den des Jungen gebeugt hatte. Sie
Weitere Kostenlose Bücher