JULIA GOLD Band 32
sie die Augen, betete für ein Wunder, betete, dass sie irgendwie mit Ben verschwinden und den schrecklichen Moment, der jetzt unweigerlich kommen würde, verhindern könne. Stattdessen blieb Kahlil neben ihr stehen, beugte sich über sie, seine Beine nur wenige Zentimeter von ihrem gesenkten Kopf entfernt.
„Würdest du mir bitte erklären, was das zu bedeuten hat?“, fragte Kahlil ruhig.
In ihrem Magen rumorte es, sie begann, mit den Zähnen zu klappern.
Aber Ben, jung und unschuldig, hob den dunklen Kopf und starrte Kahlil an. Die großen braunen Augen hatte er auf das wütende Gesicht seines Vaters geheftet. „Mommy, wer ist dieser Mann?“
4. KAPITEL
Kaum saßen sie an Bord des Learjet, da begannen die Motoren zu dröhnen, und der Flieger setzte sich in Bewegung. Er rollte die Startbahn entlang und hob ab. Die Lichter von Texas wurden kleiner, und die schwarze Nacht erstreckte sich vor ihnen.
Bryn schlang ihre Arme fester um Ben, ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Sie war dankbar, dass er endlich schlief. Während der Fahrt zum Flughafen hatte er unentwegt unschuldige und doch beunruhigende Fragen gestellt. Wohin fahren wir, Mommy? Wohnen wir in einem Hotel? Können wir schwimmen gehen?
Können wir schwimmen gehen?
Oje, was für eine Frage! Für ihn war dies ein Abenteuer, eine aufregende Abwechslung vom eintönigen Alltag. Er war bei seiner Mommy, saß in einem Flugzeug, hatte ein Glas Limonade bekommen. Was wünschte sich ein dreijähriger Junge mehr?
Sie schloss die Augen und konnte kaum noch die Tränen unterdrücken. Alles, wofür sie die letzten drei Jahre gekämpft hatte, war verloren. Bens Sicherheit war infrage gestellt. Alles hing von Kahlil ab.
Der hatte nichts gesagt, seit sie vor zwei Stunden an Bord gegangen waren. Aber sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, in welch übler Stimmung er war. Oh, er war verärgert. Nein, er war mehr als verärgert, er kochte vor Wut.
Sie schluckte den Kloß hinunter, der in ihrem Hals steckte, und hatte das Gefühl, sich daran zu verschlucken. Angst, Panik und Bedauern wüteten in ihr und brachten sie um den Verstand.
Was würde jetzt geschehen? Was würde Kahlil tun?
Ben bewegte sich ungeduldig, protestierte gegen ihren festen Griff. Sanft wiegte sie ihn in ihren Armen.
Der Junge entspannte sich wieder, der kleine Körper kuschelte sich an sie, und seine Wange ruhte an ihrer Brust.
Sie spürte seinen Atem und sein Beben, als er im Schlaf seufzte. Das Herz wurde ihr schwer, ihre Liebe zu ihm war so intensiv, dass sie fast schmerzte. Hatten ihre Eltern sie auch so sehr geliebt? Und wenn ja, warum hatte sie es nicht gewusst?
Die Zeit ohne ihre Eltern war jetzt schon fast genauso lang wie das Leben mit ihnen, und die Erinnerung an sie verblasste. Nicht die Gesichter, die sah sie immer wieder auf Fotos, aber ihre Stimmen, ihre Bewegungen, die Unterhaltungen, die sie geführt hatten. Sie erinnerte sich an ihre Liebe für ihre Arbeit, ihre Leidenschaft für die Wüste und das Nomadenvolk des Mittleren Ostens, aber sie konnte sich nicht an die Dinge erinnern, die sie zu ihr gesagt hatten, die Bemerkungen über ihre Interessen, ihre Bedürfnisse, ihre Träume.
Im Moment waren ihre Bedürfnisse nicht wichtig. Jetzt ging es um Ben. Seine Interessen. Seine Bedürfnisse. Und sie schwor sich, wie sie es auch schon bei seiner Geburt getan hatte, dass er in Sicherheit leben würde. Und dass er ihre Liebe spüren würde.
Sie drückte einen Kuss auf seine warme Stirn, bevor sie ihm sanft die schwarzen Haare aus dem Gesicht strich. Er war ein hübscher Junge, schwarze Haare, dunkle Augen, perfekt. Er ähnelte Kahlil sehr …
„Wann ist sein Geburtstag, Bryn?“
Kahlil wusste es. Es war offensichtlich, dass Ben sein Sohn war. Dieselben Augen, dieselbe Nase, dieselben hohen Wangenknochen. Obwohl Ben noch so jung war, konnte man jetzt schon erkennen, wie er als Mann einmal aussehen würde.
„Achter Mai“, erwiderte sie mit Tränen in den Augen.
Kahlil sagte nichts. Es war auch nicht nötig. Sie wusste, dass er schnell nachrechnete. Ihre Hochzeit, die Monate danach, die Geburt von Ben. Sie hatte ihn zu einem Zeitpunkt empfangen, als sie an nichts anderes dachte als an Sex mit Kahlil. Sie hatte ihn leidenschaftlich und verzweifelt begehrt, ihre Sinne waren hellwach gewesen, ihr Herz voll Liebe. Sie hatte sich nie so lebendig gefühlt.
„Mein Sohn“, stellte Kahlil fest, die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst. „Ja.“
Kahlil erhob sich
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