JULIA GOLD Band 32
die anderen Frauen gewesen, mit denen er das Bett geteilt hatte. Von Anfang an war sie anders gewesen. Aufregend, unschuldig, leidenschaftlich, mutig. Sie hatte die Welt gewollt, und er war begierig gewesen, sie ihr zu schenken. Er hatte geglaubt, es zu können. Doch er hatte versagt.
Jemand klopfte an die äußere Tür zu seinen privaten Räumen. Kahlil wusste, dass es sein Diener war, und rief Rifaat herein.
„Die neuen Papiere“, sagte Rifaat und legte die Dokumente auf Kahlils großen, kunstvoll geschnitzten Schreibtisch. „Es fehlt nur noch ihre Unterschrift.“
Verwirrt starrte Kahlil auf die Blätter vor sich. Er wusste, was seine Berater vorgeschlagen hatten, doch er war nicht mehr sicher, ob er diesem Rat folgen wollte. „Danke.“
„Ich nehme an, Sie könnten sie zwingen zu unterschreiben.“
Zwingen, da war es wieder. Sie zwingen, sich zu unterwerfen; sie zwingen, mit ihm ins Bett zu gehen; sie zwingen, den Widerstand aufzugeben. Das Nutzen und Ausnutzen seiner Position widerte ihn an. Warum schmeckte Rache nicht süßer? Warum genoss er nicht seine Macht? „Sie will Ben nicht verlassen.“
Der Diener antwortete nicht. Kahlil nahm die Dokumente vom Schreibtisch, um sie noch einmal zu lesen. „Zumindest ist sie eine bessere Mutter als Ehefrau.“
Rifaat sagte immer noch nichts.
Müde warf Kahlil die Papiere wieder auf die glänzende Oberfläche des Schreibtischs. „Ist mein Cousin schon angekommen?“
„Nein.“
„Sagen Sie mir bitte Bescheid, sobald er hier ist. Gute Nacht.“
„Gute Nacht, Herr.“
Kahlil ging neben dem Kinderbett in die Hocke und zog vorsichtig die Decke ein Stückchen zurück. Ben bewegte sich, schob die Hand weiter unter die Wange und kuschelte sich tiefer in das Kissen.
Kleiner Junge, mein Junge . Kahlils Augen brannten, und er schluckte. Allmählich akzeptierte er, dass es so nicht weitergehen konnte. Es sollte eine Zufluchtsstätte für Kinder geben, einen unantastbaren Platz, um ihre Unschuld zu schützen. Ihre Sensibilität.
Kahlil legte die Hand sanft an den Kopf seines Sohnes. Die Haare des Kindes fühlten sich seidig an, die Kopfhaut warm. Kahlil spürte den Atem seines Jungen, fühlte seine noch verborgene Stärke.
Beschütze dieses Kind. Beschütze sein Leben .
Ruhiger als seit Tagen und mit dem ersten Anzeichen von Frieden im Herzen nahm Kahlil seinen Sohn auf den Arm und stand auf. Der Junge wog so gut wie nichts, bedeutete ihm aber alles.
Bryn hob den Kopf, als sie Schritte in ihrem Zimmer hörte. Es war so dunkel, dass sie nichts sehen konnte. Ihr Herz klopfte. Jemand war hier. Jemand kam auf sie zu.
Sie rieb sich die Augen. Voller Angst wurde sie an eine andere Nacht erinnert, als auch jemand in ihr Zimmer eingedrungen war.
„Bryn.“
Kahlil.
Die tiefe, samtige Stimme ihres Mannes klang durch die Dunkelheit. „Bist du wach?“, fragte er in seinem geschliffenen Englisch.
„Ja. Was ist passiert?“
„Nichts. Leise. Er schläft noch. Weck ihn nicht auf.“
Plötzlich begriff sie. Die Bettdecke flog zurück, und Bryn richtete sich ungestüm auf. Kahlil hatte ihr Ben gebracht!
Er legte den Jungen neben sie auf die Matratze und bedeckte beide mit der Seidendecke. Sprachlos legte Bryn die Hand an Bens warme Wange. Er war es wirklich. Er war bei ihr.
Dankbarkeit und Hoffnung erfüllten sie. „Danke“, flüsterte sie. „Ich danke dir.“
Kahlil nickte. Ohne ein weiteres Wort ging er zur Tür.
„Kahlil, was hat das zu bedeuten?“
Ihre Stimme ließ ihn innehalten. „Ich weiß es nicht.“ Er zögerte, sein Gesichtsausdruck war reserviert. „Vielleicht könnten wir einen Waffenstillstand schließen. Kein Kampf mehr. Jedenfalls nicht um unseren Sohn.“
„Nie wieder“, stimmte sie rasch zu. „Vielen Dank, Kahlil. Ich danke dir wirklich von ganzem Herzen …“
„Ich weiß.“
Er stand in der Tür. Seine goldbraune Haut schimmerte in dem sanften Licht, das von der Diele auf seinen athletischen Körper fiel.
Er sah aus wie ein Prinz aus einem mittelalterlichen Märchenbuch, auf geheimnisvolle Weise gut aussehend und doch irgendwie einsam. Ihr wurde bewusst, dass er niemanden mehr hatte, seit sie ihn verlassen hatte.
Er zögerte an der Tür. Sie spürte seine Anspannung, sein Schweigen sagte mehr als tausend Worte.
Ihr blieb fast der Atem stehen. Sie wollte zu ihm gehen, ihn berühren, ihn umarmen, ihn lieben. Aber sie hatte Angst. Angst vor der Kluft, die sich zwischen ihnen aufgetan hatte.
„Gute Nacht, Bryn. Schlaf
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