JULIA GOLD Band 32
eine zweite Frau genommen. Aber Yasmin war nie wirklich glücklich. Sie war das einzige Kind ihrer Eltern und auf Wunsch ihrer Mutter in England erzogen worden. Ihr Vater bestand jedoch darauf, dass sie nach der alten Tradition heiraten sollte. Obwohl sie eine gehorsame Ehefrau war, lachte oder scherzte sie nur selten. Sie starb, als Rashid drei Jahre alt war. Ich habe mir oft überlegt, ob sie sich nicht vielleicht doch nach England zurücksehnte.“ Umm Faisal machte eine kleine Pause. „Rashid spricht nicht davon, aber ich glaube, er hat sehr unter ihrem Tod gelitten. Sein Leben ist nicht leicht gewesen, und darum würde ich es gern sehen, wenn er auch endlich eine Familie gründete. In Rashid vereinigen sich die östliche und die westliche Kultur, und ich weiß, dass unsere alten Sitten ihn manchmal ärgern. Er bestand darauf, dass Nadia und Zahra die Universität besuchen, und ich nehme an, dass er von seiner zukünftigen Frau mehr Kameradschaft erwartet, als mohammedanische Mädchen ihm geben können. Ich glaube, aus diesem Grund hat er sich noch keine Frau genommen.“
Felicia mochte die kleine, rundliche Frau gern, obwohl sie so ganz anders war als sie. Sie war aufrichtig bemüht, den Freunden ihres Sohnes einen möglichst angenehmen Aufenthalt in ihrem Haus zu bieten. Am liebsten wäre Felicia auf der Stelle in ihr Zimmer gelaufen und hätte die Geschenke geholt, doch sie beschloss zu warten, bis Zahra zurück war.
4. KAPITEL
Am Nachmittag fuhr Ali mit dem Mercedes vor, um Felicia in die Stadt zu bringen. Eigentlich wollte sie zuerst Zahra von der Universität abholen und dann mit ihr zusammen in die Stadt fahren, um sich die Geschäfte anzusehen. Doch als Felicia einfiel, dass sie kein arabisches Geld hatte, bat sie Ali, sie an einer Bank abzusetzen und ohne sie weiterzufahren, um Zahra abzuholen.
„Ich warte hier auf Zahra“, erklärte sie dem verdutzten Diener und zeigte auf das große, moderne Gebäude hinter sich.
Als sie ausstieg, war sie froh, dass sie sich vor der Fahrt schnell noch eine dünnere, ärmellose Bluse mit einem kleinen Ausschnitt angezogen hatte, denn es war sehr warm. Der Bankbeamte war ausgesprochen höflich und erklärte ihr geduldig die kuwaitische Währung und den Kurs.
Dann trat sie wieder hinaus in den strahlenden Sonnenschein. Während sie auf Ali und Zahra wartete, wollte sie das bunte Leben auf der Straße beobachten.
Ali blieb länger, als Felicia erwartet hatte. Besorgt hielt sie nach dem Mercedes Ausschau. Eine Gruppe junger Männer kam auf sie zu, neugierige Blicke musterten sie frech von oben bis unten. Felicia begann, sich unbehaglich zu fühlen.
Als Felicia endlich den Mercedes erspähte, lief sie erleichtert darauf zu. Doch zu ihrem Erstaunen stieg nicht Ali aus, sondern Rashid. Mit finsterem Gesicht kam er ihr entgegen. Felicia fiel auf, dass die beiden obersten Knöpfe seines weißen Hemds geöffnet waren, und ihr Blick fiel auf seinen braunen Hals. In das Unbehagen, das sie bei seinem unerwarteten Auftauchen erfasste, mischte sich die Erkenntnis, dass diese Männer mit ihren stolzen Gesichtern und ihrem aufrechten Gang im Vergleich zu europäischen Männern bedeutend attraktiver aussahen. Felicias Mund war trocken vor Nervosität.
Rashid packte sie hart am Arm und riss sie mit einem unsanften Ruck an sich, sodass ihre Körper sich für einen Augenblick berührten. „Miss Gordon!“ Die Verärgerung in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Sie haben Ali angewiesen, Sie allein zu lassen“, grollte er. „Glücklicherweise war Ali so geistesgegenwärtig, mir sofort Bescheid zu sagen.“ Er musterte sie von oben bis unten, und am liebsten wäre Felicia im Erdboden versunken. „In diesem Land, Miss Gordon, geht eine Frau aus gutem Haus nicht allein auf die Straße und stellt ihren Körper zur Schau. Faisal wäre alles andere als begeistert, wenn er von dieser Eskapade hörte.“
„Ich wollte nur etwas Geld wechseln“, versuchte Felicia, sich kleinlaut zu rechtfertigen.
„Damit hätten Sie sich auch an mich wenden können“, fuhr Rashid sie an. „Oder verbietet es Ihre viel gepriesene Emanzipation, mich um etwas zu bitten?“
„Ist es etwa ein Verbrechen, allein durch die Stadt zu gehen? Andere Frauen tun das auch, und ebenfalls in westlicher Kleidung.“
„Das sind Fremde!“, entgegnete Rashid verächtlich. „Frauen, deren Familien sich nicht um ihren Ruf kümmern.“
„Mein Ruf geht nur mich etwas an“, erwiderte Felicia ärgerlich.
Weitere Kostenlose Bücher