JULIA GOLD Band 32
„Oh, ich war eine ausgesprochene Rebellin. Unsere Hochzeit war schon vor dem Tod meines Vaters vereinbart worden, und ich habe Rashid angefleht, mich davon zu befreien. Ich habe sogar gedroht, mich zu Tode zu hungern, wenn er sich weigern sollte.“
„Und was ist daraus geworden?“, fragte Felicia neugierig.
Nadia lächelte geheimnisvoll. „Rashid hat alles zum Besten gewendet. Sie haben sicher schon von Siyasa gehört. Also, als ich mich weigerte, Achmed zu heiraten, hat Rashid sich gar nicht erst mit mir herumgestritten oder diskutiert. Stattdessen erzählte er mir, dass er Achmed einladen würde, sich unser Haus anzusehen, und bot mir an, mich in seinem Schlafzimmer zu verstecken, von dessen Fenster ich Achmed bei seiner Ankunft heimlich beobachten könnte.“ Lachend breitete sie die Arme aus. „Und als ich den jungen Mann so nervös aus dem Auto steigen sah, dem Anständigkeit und Güte aus den Augen leuchteten, wusste ich, dass ich nichts zu befürchten hatte. Rashid kannte mich besser als ich mich selbst.“ Nadias Augen strahlten. „Wissen Sie, Felicia, es gibt in Ihrem und auch in meinem Land Frauen, die sich den Männern hingeben, ohne verheiratet zu sein. Aber es gibt nichts Größeres, nichts Schöneres als das Vergnügen, die Geheimnisse des Körpers mit dem geliebten Mann zu teilen und zu wissen, dass diese Geheimnisse nur für ihn bestimmt sind.“
Die Worte rührten Felicia. Es waren Worte, die sie immer in ihrem Herzen gefühlt hatte. Schweigend sahen die beiden sich an und wussten, dass sie sich verstanden.
Nadia stand auf und drückte Felicias Hand. „Zahra hat mir erzählt, dass Rashid Ihnen unrecht getan hat. Schon um Ihretwillen muss sie ihm die Wahrheit sagen, aber er ist ein stolzer Mann. Es wird ihm nicht leichtfallen, sich zu entschuldigen. Werden Sie daran denken?“
Warum sagte Nadia ihr das? Wollte sie es ihm leichter machen?
„Sie sind Rashids Großmutter sehr ähnlich“, seufzte Nadia. „Aber das hat Zahra Ihnen sicher schon gesagt. Meine Mutter hat mir erzählt, Sie und Faisal seien eng befreundet.“
„Könnten wir darüber ein andermal sprechen?“, warf Felicia schnell ein. „Nach Zahras Namenstag? Ich möchte nicht, dass ihr dieser Tag, auf den sie sich so freut, verdorben wird.“
„Natürlich.“ Lächelnd nahm Nadia ihren Sohn bei der Hand, um mit ihm das Zimmer zu verlassen.
Felicia stellte bald fest, dass die übrigen Familienmitglieder die Oase genauso liebten wie Zahra. Morgens trafen sich die Frauen, um miteinander zu plaudern und Kaffee zu trinken, während Rashid und Achmed die Obstfarm auf der anderen Seite der Oase und die Ställe mit den feurigen Araberhengsten besichtigten. Zayad heftete sich an Felicias Sohlen und folgte ihr, wohin sie auch ging.
Am Tag vor Zahras Namenstag kam ein Diener von Sauds Familie, um Zahra und die Familie für den nächsten Tag einzuladen. Felicia war sich nicht sicher, ob die Einladung auch für sie galt, doch für Zahra und Nadia gab es keine Zweifel.
Als die beiden Männer zurückkamen, lief Zahra ihnen entgegen, um ihnen die Neuigkeit mitzuteilen. Ihrem Schwager gegenüber, der sie wie eine Schwester behandelte, zeigte sie überhaupt keine Scheu. Auch Felicia war Achmed sehr sympathisch. Er besaß all die Eigenschaften, die sie einmal in Faisal gesehen hatte: Freundlichkeit, Güte, Zärtlichkeit und Liebenswürdigkeit. Nachdenklich wanderte ihr Blick zu Rashid. Wie er wohl zu seiner Frau sein würde? Sicher alles andere als zärtlich und gütig!
„Freut Felicia sich darauf, Sauds Familie kennenzulernen?“, fragte Achmed mit einem Augenzwinkern. Und an Felicia selbst gewandt: „Sie wissen sicher bereits, dass Sauds Familie in Regierungskreisen hohes Ansehen genießt?“
„Saud legt gar keinen Wert darauf“, erklärte Zahra schnell.
„Verstehen Sie jetzt, warum es so wichtig ist, dass unsere Familie die Formen wahrt?“, sagte Rashid an Felicia gewandt. „In gewissen Kreisen gibt es schon Unruhen, weil die Regierung ständig Reformen durchführt. Es gehört sehr viel Takt dazu, niemanden zu verärgern, und wenn ein Mitglied einer prominenten Familie dabei ertappt wird, dass es die ungeschriebenen Anstandsregeln verletzt, sehen diese Kreise das als direkten Verstoß gegen den Koran an. Zahra ist dadurch, dass sie mit mir verwandt ist, besonders gefährdet. Oder haben Sie vergessen, dass ich Christ bin?“
Das hatte sie tatsächlich. Außerdem war ihr heute vieles klarer als noch vor einigen
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