Julia Gold Band 47
Er hat das aus Rücksicht auf Chassa getan. Um meine Ehe zu retten. Und auch, weil ich Angst vor Vaters Zorn hatte. Vater mag Chassa sehr und erwartet von uns allen ein untadeliges Verhalten. Ich habe schon einige Male über die Stränge geschlagen. Raschid will mir helfen, bei Vater durchzusetzen, dass Chassa und ich im Ausland leben dürfen. Wenn er jedoch von der Affäre mit Francine erfahren würde, könnte ich die Hoffnung auf ein Leben in größerer Freiheit begraben.“
„Ich verstehe.“ Polly rechnete es Asif hoch an, dass er sich dieses Geständnis abgerungen hatte, um zwischen ihr und Raschid zu vermitteln. Dennoch würde sie Asif nicht die wahren Hintergründe des Bruchs mit Raschid verraten.
„Glaubst du mir?“, drängte Asif.
Polly nickte. „Ja, natürlich.“
Beschwörend setzte er hinzu: „Chassa darf niemals von der Sache mit Francine erfahren. Ich liebe meine Frau und möchte meine Ehe nicht noch einmal aufs Spiel setzen. Deshalb bitte ich dich um absolutes Stillschweigen über meinen Ausrutscher.“ Polly versprach es.
Erleichtert fuhr Asif fort: „Wenn du Rashid zu Unrecht verdächtigt hast, solltest du den ersten Schritt zur Versöhnung tun.“ Asifs Blick fiel auf die Schachtel mit Louises Briefen. Er nahm einen heraus und fuhr fort: „Gib dir einen Ruck, Polly, sonst kannst du endlos warten. Eher quetschst du Blut aus einem Stein, als meinen Bruder zu einer Entschuldigung zu bewegen. Er hat deinetwegen schon eine Menge Dinge getan, die ihm vorher nie in den Sinn gekommen wären.“
„Zum Beispiel?“
Asif las den Brief und blickte geistesabwesend auf. „Möbelgeschäfte, Blumen, Essen im Hotel, Swimmingpool … Alles das ist für ihn sehr ungewöhnlich, denn im Grunde ist er genauso altmodisch wie mein Vater.“ Asif lächelte amüsiert. „Du hast Raschid ganz schön auf Trab gehalten, und er hat sich erstaunlich verändert. Zum ersten Mal in seinem Leben musste er einer Frau nachlaufen. Dabei ist er eher ein schüchterner Typ.“
Polly glaubte, sich verhört zu haben. „Schüchtern? Raschid?“ Asif las den Brief weiter, der hochinteressant zu sein schien. „Im Grunde schon. Natürlich haben das Militär und mein Vater ihm da auf die Sprünge geholfen, aber er ist alles andere als ein Frauenheld. Bis diese geistesschwache Frau starb, fühlte er sich durch die Ehe gebunden, und danach ist er wohl gar nicht mehr auf die Idee gekommen …“ Asif tippte auf den Brief. „Meine Güte, das ist ja unglaublich! Wer hätte das gedacht?“ Neugierig nahm er den nächsten heraus. „Woher stammen die?“
„Aus dem Schreibtisch deiner Großmutter.“ Polly brannte darauf, mehr über Berah zu erfahren. „Was meinst du mit ‚geistesschwach‘?“
Asif war so ins Lesen vertieft, dass er Pollys Frage nicht gehört zu haben schien. „Die muss ich unbedingt Vater zeigen. Bin gespannt, was er dazu sagt, besonders zu der Zeit, in der die Briefe geschrieben wurden.“ Er nahm weitere Bögen heraus und überflog sie.
Polly wurde ungeduldig. „Würdest du die Briefe bitte einen Moment beiseitelassen? Was meintest du mit ‚geistesschwach‘?“ Asif hob den Kopf. „Weiß du, was das hier ist? Das sind Liebesbriefe meines Großvaters an meine Großmutter. Und sie hat sie anscheinend beantwortet. Ich dachte immer, meine Großeltern hätten sich lange vor Louises Tod getrennt. Aber aus diesen Briefen geht hervor, dass die beiden sich versöhnt haben, obwohl sie hier im Palast blieb.“
Endlich fiel Asif ein, dass er Pollys Frage nicht beantwortet hatte. „Was ich mit geistesschwach meine? Wusstest du nicht, dass Berah in eine Nervenheilanstalt eingeliefert werden musste?“
Polly wurde blass. „Nein …“
„Raschid hat dir nichts gesagt? Nun ja, über so etwas spricht man verständlicherweise nicht gern“, räumte Asif ein. „Zwei Jahre vor Berahs Tod stellten die Ärzte fest, dass sie krankhaft depressiv war. Raschid hat die Hölle mit ihr durchgemacht.“
Polly sah Asif fassungslos an.
„Ich bin so schlecht auf Berah zu sprechen, weil sie sich vor Raschids Augen die Treppe hinuntergestürzt hat. Es war schrecklich mitzuerleben, was sie Raschid und auch Chassa damit antat.“
„Sie hat Selbstmord begangen?“, fragte Polly entsetzt.
„Niemand trifft die Schuld daran, am allerwenigsten Raschid“, fuhr Asif grimmig fort. „Berahs Vater hat sie einfach aus der Klinik geholt. Er wollte nicht wahrhaben, dass seine Tochter wirklich krank war. Als Achmed merkte, dass mein Vater
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