Julia präsentiert Träume aus 1001 Nacht 04
erinnerten, dass sie bald in die wirkliche Welt zurückkehren würden. Nur einmal, als sie den Gipfel des Kammes erreichten, gönnte Lana sich einen Blick ins Tal. Frieden erfüllte ihr Herz, und sie atmete tief durch. Sie hatte ein paar Tage und Nächte in größter Wonne in diesem Tal, Arashs Zuhause, in seinem Bett und seinen Armen verbracht. Es würde ihr für den Rest ihres Lebens genügen müssen.
Durch die dicke Schneedecke war im Tal nicht mehr viel zu sehen, was an den Krieg erinnerte.
„Hat es immer so ausgesehen?“, fragte Lana.
„Wie bitte?“ Arash beugte sich vor, da er ihre Worte nicht verstanden hatte.
„Hat das Tal vor dem Krieg auch so ausgesehen? Im Winter, meine ich.“
Er straffte sich und betrachtete nachdenklich die Szenerie. „So viel anders war es hier tatsächlich nicht, glaube ich.“
Lana deutete auf unzählige verkohlte Baumskelette, die aus dem Schnee ragten und ihr vor dem weißen Hintergrund wesentlich mehr auffielen als an dem Abend, an dem sie angekommen waren.
„Was war da?“
„Eine Aprikosenwiese“, erwiderte er. „Sie ist in einem trockenen Sommer von einer Bombe getroffen worden.“
„Wem gehört sie?“
Wären die Dinge anders gewesen, dachte Lana, hätte es keinen Krieg gegeben, der ihn von ihrer Seite gerissen hätte, wäre er dann vielleicht eines Tages mit ihr hierhergekommen? Oder wäre die Verbindung zwischen ihnen stärker geworden, wenn er in London geblieben wäre?
„Meiner Familie.“
„Also dir?“
Er schaute sie an. „Ja, mir und meinen Erben.“
„Arash, ich …“ Sie schluckte nervös und fürchtete sich vor einer Ablehnung des Vorschlags, den sie ihm machen wollte. „Ich würde sie … gern neu anpflanzen, wenn du es erlaubst. Wir könnten nach der Schneeschmelze junge Bäume herbringen … ich kann es nicht leiden, wenn Bäume …“
Er presste die Lippen fest aufeinander. „Ach, hat es dir so gut gefallen? Was für ein Kompliment für mich, Lana! Stell dir mal vor, was ich meinen Söhnen erzählen kann. Diesen Aprikosengarten habe ich mir bei einer reichen Amerikanerin im Bett verdient! Wie werden sie …“
„Halt den Mund!“, schrie sie entsetzt. „Halt den Mund! Welches Recht hast du, so etwas zu sagen?“
Plötzlich wirkte er wütend auf sich selbst. „Keins. Ich habe kein Recht, so etwas über dich zu sagen. Verzeih mir.“
„Warum hast du so mit mir geredet?“, verlangte sie zu wissen, und die Stimme versagte ihr. „Warum hast du mir wehgetan?“
„Um mir selbst wehzutun. Ich fühle mich zwiespältig“, erwiderte er und biss die Zähne aufeinander. „Du weißt es doch. Das ist der Weg in den Wahnsinn.“
Er wandte sich zum Gehen. „Komm“, forderte er sie auf.
Die Türme und Kuppeln eines Palastes wie aus Tausendundeiner Nacht ragten über die Hauptstadt von Zentralbarakat.
Unwillkürlich blieb Lana stehen. „Ist es das?“, hauchte sie.
Sie hatten die Grenze zu den Vereinigten Emiraten von Barakat und den Koh-i Noor-Bergen überschritten. Am Nachmittag waren sie der Straße gefolgt, die bergab führte, und hatten schließlich den langen Tunnel erreicht, den die Ingenieure durch das Gebirge gesprengt hatten und der am Fuße der Berge auskam.
Die vergangene Nacht hatten sie in einem Dorf verbracht, an einem spontanen Gastmahl teilgenommen und waren am anderen Morgen über die wenig befahrene Wüstenstraße von einer Ehrengarde begleitet worden.
„Ich nehme an, das haben sie seit Jahrhunderten so gemacht, nur zu Pferd“, hatte Lana dazu gesagt.
„Das stimmt. Es ist ein alter Brauch, den Gästen durch ein feindliches Gebiet Geleitschutz zu geben. Heute ist das nicht mehr so nötig, wie es früher war.“
„Vielleicht ist er ein Scheich der alten Schule“, bemerkte Lana lächelnd.
„Wir sind alle Scheichs der alten Schule. Eine neue gibt es noch nicht.“
So ein einfacher Satz weckte bei ihr schon die Gefühle, musste sie feststellen. Denn ihr war klar, dass zu dem alten Verhaltenskodex nicht nur die übliche Gastfreundlichkeit, Großzügigkeit und Verteidigungsbereitschaft gehörten, sondern auch die Lust, die ein Mann seiner Frau schenkte.
Sie warf ihm einen prüfenden Seitenblick zu und wurde mit einem kräftigen Händedruck belohnt.
„Lana, das liegt jetzt hinter uns“, erklärte er. „Wir haben es im Tal zurückgelassen.“
Gestern Abend im Dorf hatte Lana natürlich in dem Quartier für unverheiratete Frauen geschlafen. Das war ein kleiner Raum mit hohem Fenster gewesen, durch das
Weitere Kostenlose Bücher