Julia Quinn
dass Blake Ravenscroft sie vielleicht gar nicht
hier haben wollte – und sie vielleicht sogar nicht mochte – aber er fühlte sich
ihr gegenüber eindeutig schuldig dafür, dass er sie fälschlicherweise entführt
hatte, und sein Ehrgefühl verlangte es von ihm, ihr Unterschlupf zu gewähren, bis
sie vor Oliver Prewitt sicher war.
Caroline lächelte leise. Ein Mann
mit Ehrgefühl war wirklich eine wunderbare Sache.
Mehrere Stunden später befand sich Caroline immer noch im
Blauen Salon, aber der Blaue Salon wies nur noch eine flüchtige Ähnlichkeit mit
dem Zimmer auf, das sie früher am Tag betreten hatte.
Perriwick war in seinem Bestreben,
es der »reizenden und liebenswürdigen Miss Trent« so angenehm wie nur irgend
möglich zu machen, über sich hinausgewachsen und hatte Tabletts mit
verschiedenen Häppchen zu essen, eine Auswahl an Büchern und Zeitschriften,
Aquarellmalfarben und eine Flöte herbeigeschafft. Als Caroline ihn darauf
hinwies, dass sie gar nicht Flöte spielen konnte, hatte Perriwick sich erboten,
es ihr beizubringen.
Blake hatte endgültig die Geduld
verloren, als Perriwick ihr vorschlug, den Klavierflügel in den Blauen Salon zu
bringen – oder besser gesagt, angeboten hatte, dass Blake ihn herbringen
könnte, da der um einiges jünger und kräftiger war. Das war an sich schon
schlimm genug, aber als Caroline Perriwick fragte, ob er für sie spielen würde,
hatte der geantwortet: »Himmel, nein! Ich kann gar nicht Klavier spielen, aber
ich bin überzeugt, Mr. Ravenscroft wäre nur zu froh, Sie den Nachmittag lang zu
unterhalten.«
Zu dem Zeitpunkt hatte Blake die
Arme in die Luft geworfen und war mit der ätzenden Bemerkung aus dem Zimmer
gestürmt, dass sein Butler sich noch nie um ihn so besorgt und bemüht
gezeigt hatte.
Danach hatte Caroline ihn nicht
wieder zu Gesicht bekommen. Es war ihr gelungen, sich den Nachmittag recht
angenehm zu vertreiben, während sie immer wieder etwas von dem Gebäck naschte
und die neuesten Ausgaben der London Times durchblätterte. An so ein
Leben könnte ich mich glatt gewöhnen, dachte sie. Sogar ihr Knöchel schmerzte
kaum noch.
Sie war völlig gefesselt von den
Gesellschaftsspalten – nicht, dass sie auch nur den blassesten Schimmer gehabt
hätte, von wem da gesprochen wurde, außer vielleicht dem »verwegenen
Draufgänger Lord R.«. Caroline kam gerade der Verdacht, dass es sich bei ihm
tatsächlich um ihren neuen Freund James handeln könnte, als der Marquis
höchstpersönlich hereinkam.
»Sie sind ganz schön lange unterwegs
gewesen«, begrüßte sie ihn. »Möchten Sie etwas Kuchen?«
James sah sich mit unverhohlener Neugier
im Zimmer um. »Ist schon wieder ein Fest angesetzt worden, von dem ich nichts
weiß?«
»Unfug. Perriwick wollte nur
sichergehen, dass es mir an nichts fehlt«, erläuterte Caroline.
»Ach ja. Die Dienstboten scheinen ja
einen Narren an Ihnen gefressen zu haben.«
»Und Blake macht es ganz wahnsinnig.«
»Gut so.« James bediente sich von
einem Tablett mit Törtchen, dann sagte er: »Raten Sie mal, was ich gefunden
habe.«
»Das kann ich nie erraten.«
Er hielt ein Blatt Papier in die
Höhe. »Sie!«
»Wie bitte?«
»Es sieht ganz so aus, als hielte
Ihr Vormund nach Ihnen Ausschau.«
»Nun, das überrascht mich nicht«,
bemerkte sie, nahm ihm das Blatt ab, um es sich genauer zu betrachten. »Ich bin
ihm ganz schön viel Geld wert. Ach, ist das komisch.«
»Was?«
»Das hier.« Caroline deutete auf die
Zeichnung von ihr, die sich unter der Überschrift, Mädchen vemisst' befand. »Percy
hat das gezeichnet.«
»Percy?«
»Ja. Ich hätte mir denken können,
dass Oliver das Percy machen lassen würde. Er ist viel zu knauserig, um Geld für
einen richtigen Künstler auszugeben.«
James legte den Kopf schief und
besah sich die Zeichnung genauer. »Sie sieht Ihnen nicht besonders ähnlich.«
»Nein, wirklich nicht. Aber ich
vermute, Percy hat das absichtlich getan. Er ist eigentlich recht geschickt
im Umgang mit Stift und Papier. Sie müssen bedenken, er will ebenso wenig wie
ich, dass ich gefunden werde.«
»Der
Dummkopf«, murmelte James.
Caroline sah überrascht auf, sicher,
sich verhört zu haben. »Wie bitte?«
»Percy. Es ist doch ganz offensichtlich
aus dem, was Sie mir über ihn erzählt haben, dass er es kaum besser treffen
kann als mit Ihnen. Wenn ich er wäre, hätte ich mich ganz bestimmt nicht über
die von meinem Vater ausgewählte Braut beklagt.«
»Wenn Sie Percy wären«,
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