Julia Quinn
sich hingesetzt und geweint.
Sie war unaufrichtig gewesen, als
sie sich einzureden versucht hatte, sie wolle ihn heiraten, weil er ein wohlhabender Marquis war. Welch eine Ironie des Schicksals. Den ganzen letzten Monat
hatte sie sich mit ihrem Geschick abgefunden, einen reichen Mann heiraten zu
müssen. Dann hatte sie sich verliebt, und er war reich genug, um ihrer Familie
ein besseres Leben bieten zu können – und doch war irgendwie alles falsch.
Sie liebte ihn. Oder besser gesagt,
sie liebte einen Mann, der so aussah wie er. Elizabeth war es gleich, was Lady
Danbury oder die Ravenscrofts sagten; der bescheidene James Siddons konnte
innerlich einfach nicht derselbe Man sein wie der stolze Marquis of Riverdale.
Das war schlichtweg unmöglich. In der britischen Gesellschaft hatte jeder seinen angestammten Platz;
das war etwas, was die Leute sehr früh lernten, vor allem solche wie Elizabeth,
die Tochter eines der kleinen Landadeligen, die sich am Rand der feinen
Gesellschaft tummelten.
Es schien, als könnte sie alle ihre
Probleme dadurch lösen, dass sie zu ihm ging und ihm sagte, sie wolle ihn und
nicht sein Geld. Dann wäre sie mit dem Mann verheiratet, den sie liebte, und
hätte obendrein genug Geld zur Verfügung, ihre Familie zu unterstützen.
Dennoch konnte sie den nagenden Gedanken nicht abschütteln, dass sie ihn im
Grunde gar nicht kannte.
Der Vernunftmensch in ihr sagte ihr,
dass sie wahrscheinlich keinen Mann richtig kennen würde, den sie zu heiraten
beabsichtigte, zumindest nicht gut. Männer und Frauen umwarben einander meist
auf einem äußerst oberflächlichen Niveau.
Bei James war es jedoch etwas
anderes. Genauso wenig wie er eine Vernunftehe mit ihr dulden konnte, genauso
wenig konnte sie sich eine Verbindung ohne Vertrauen vorstellen. Vielleicht mit
einem anderen, aber nicht mit ihm.
Elizabeth legte sich auf ihr Bett
und schloss die Augen. Die letzten Tage hatte sie sich größtenteils in ihrem
Zimmer eingeigelt. Nach ein paar anfänglichen Bemühungen hatten es ihre
Geschwister aufgegeben zu versuchen, mit ihr zu reden, und stellten ihr jetzt
meist das Tablett mit dem Essen vor die Tür. Susan hatte Elizabeths sämtliche
Lieblingsgerichte gekocht, doch meistens war der Teller unangerührt wieder in
der Küche gelandet. Liebeskummer schien den Appetit gründlich zu dämpfen.
Jemand klopfte zögernd an der Tür,
und Elizabeth sah still aus dem Fenster. Dem Stand der Sonne nach zu urteilen
war es Zeit für das Abendessen. Nun, wenn sie nicht auf das Klopfen reagierte,
würden sie das Tablett wie gewohnt draußen stehen lassen und weggehen.
Doch das Klopfen wurde beharrlicher,
und so zwang sich Elizabeth seufzend aufzustehen. Sie durchquerte das kleine
Zimmer mit wenigen Schritten und öffnete. Alle drei standen vor ihr.
»Der ist für dich abgegeben
worden.« Susan hielt ihr einen Briefumschlag hin. »Er ist von Lady Danbury,
sie will dich sehen.«
Elizabeth zog tadelnd die
Augenbrauen hoch. »Ihr habt meine Post gelesen?«
»Natürlich nicht. Der Lakai, den sie
geschickt hat, sagte es mir.«
»Das stimmt!« warf Jane ein.
»Ich war dabei!«
Elizabeth nahm den Umschlag und sah
ihre Geschwister an. Diese erwiderten ihren Blick.
»Willst du ihn denn nicht
lesen?« fragte Lucas schließlich.
Jane versetzte ihrem Bruder einen
Rippenstoß. »Lucas, sei nicht so ungezogen.« Sie sah Elizabeth fragend an.
»Und? Liest du ihn?«
»Wer ist denn hier jetzt
ungezogen?« mahnte Elizabeth.
»Mach ihn doch einfach auf«,
schlug Susan vor. »Zumindest lenkt dich das etwas ab von ...«
»Sprich es nicht aus!« warnte
Elizabeth.
»Nun, du kannst dich jedenfalls
nicht ewig in Selbstmitleid suhlen.«
Elizabeth seufzte. »Kann ich mir
denn nicht wenigstens ein, zwei Tage gönnen?«
»Natürlich«, stimmte Susan ihr
zu. »Aber selbst in dem Fall ist deine Zeit dafür längst abgelaufen.«
Resigniert riss Elizabeth den
Umschlag auf. Sie fragte sich, wie viel ihre Geschwister von ihrer Situation
mitbekommen hatten. Sie hatte ihnen nichts erzählt, aber im Lüften von
Geheimnissen waren sie Meister, und so vermutete sie, dass sie inzwischen
mehr als die Hälfte der Geschichte kannten.
»Liest du den Brief denn
nicht?« erkundigte Lucas sich aufgeregt.
Argwöhnisch betrachtete Elizabeth
ihren kleinen Bruder, der buchstäblich von einem Bein auf das andere hüpfte.
»Ich verstehe nicht, warum es dich so brennend interessiert, was Lady Danbury
mir zu sagen hat!«
»Das ist mir auch
schleierhaft«,
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