Julia Quinn
weiß nicht, ob es dem Earl recht wäre, wenn Sie ihn in diesem Zustand
sehen«, sagte die Haushälterin, »aber nachdem sie die weite Strecke auf
sich genommen haben ...«
»Ich werde ihn nicht stören«, beteuerte Honoria. »Ich will
mich nur davon überzeugen, dass es ihm gut geht.«
Mrs Wetherby schluckte und warf ihr einen freimütigen Blick zu.
»Es geht ihm nicht gut, Mylady. Sie sollten sich darauf gefasst machen.«
»Ich ... ich habe nicht ,gut` gemeint«, sagte Honoria
zögernd. »Ich habe nur gemeint, ach, ich weiß nicht, was ich gemeint habe, nur
dass ...«
Sanft legte ihr die Haushälterin die Hand auf den Arm. »Ich
verstehe schon. Es geht ihm ein bisschen besser als gestern, als ich Ihnen
schrieb.«
Honoria nickte, doch die Bewegung fühlte sich
angespannt und verlegen an. Die Haushälterin wollte ihr wohl zu verstehen
geben, dass Marcus nicht mehr an der Schwelle des Todes stand, aber das
beruhigte sie nicht, denn es bedeutete, dass er an der Schwelle des
Todes gestanden hatte. Und wenn dem so war, gab es keinen Grund, warum
er nicht wieder dorthin zurückkehren sollte.
Mrs Wetherby legte den Finger auf die Lippen, um Honoria zu
bedeuten, still zu sein, während sie den Raum betraten. Langsam drehte sie den
Türknauf, und die Tür schwang lautlos auf.
»Er schläft«, flüsterte Mrs Wetherby.
Honoria nickte und trat blinzelnd in das
dunkle Zimmer. Drinnen war es sehr warm, und die Luft war dick und drückend.
»Ist ihm nicht zu heiß?«, wisperte sie der Haushälterin zu. Sie konnte in
dem stickigen Raum kaum atmen, und Marcus schien unter einem Berg an Decken und
Federbetten begraben zu sein.
»Der Arzt hat angeordnet, es so zu machen«, erwiderte Mrs
Wetherby. »Wir sollen um jeden Preis vermeiden, dass er sich verkühlt.«
Honoria zerrte am Kragen ihres Tageskleids und wünschte sich, sie
könnte ihn irgendwie lockern. Lieber Himmel, wenn ihr schon unbehaglich war,
musste Marcus wahre Qualen leiden. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es
gesund war, in der Hitze so dick eingepackt zu sein.
Aber auch wenn ihm zu heiß war, so schlief er
wenigstens. Sein Atem klang normal, zumindest nach Honorias Begriffen. Sie
hatte keine Ahnung, worauf man an einem Krankenlager achten musste, vermutlich
auf alles, was aus dem Rahmen fiel. Sie kam ein bisschen näher und beugte sich
über ihn. Er sah furchtbar verschwitzt aus. Sie konnte nur eine Seite seines
Gesichts sehen, aber seine Haut glänzte unnatürlich, und in der Luft lag der
abgestandene Geruch menschlicher Transpiration.
»Ich glaube wirklich, dass er nicht unter so vielen Decken liegen
sollte«, flüsterte Honoria.
Mrs Wetherby zuckte hilflos mit den Schultern. »Der Arzt hat es
ausdrücklich angeordnet.«
Honoria trat noch einen Schritt näher, bis ihre Beine das Bett
berührten. »Es sieht nicht sehr gemütlich aus.«
»Ich weiß«, stimmte Mrs Wetherby zu.
Vorsichtig
streckte Honoria die Hand aus, um zu sehen, ob sie die Decken ein wenig
zurückziehen konnte, selbst wenn es nur ein, zwei Zoll waren. Sie bekam die
Ecke des zuoberst liegenden Federbetts zu fassen und ruckte ganz vorsichtig
daran, und dann ...
»Aaaaaa!«
Kreischend sprang Honoria zurück und packte Mrs Wetherby am Arm.
Marcus war praktisch in die Höhe gefahren und saß nun da und schaute sich wild
im Zimmer um.
Offenbar hatte er nichts an. Zumindest nicht von der Taille
aufwärts, so weit sie sehen konnte.
»Schon gut, schon gut«, sagte sie, doch ihrer Stimme mangelte
es an Überzeugung. Sie fand es nicht gut, und sie wusste nicht, wie sie es
anstellen sollte, so zu klingen, als wäre sie doch dieser Meinung.
Er atmete schwer, und er war furchtbar
aufgeregt, doch sein Blick schien sich nicht auf sie konzentrieren zu können.
Sie hätte nicht einmal sagen können, ob er wusste, dass sie da war. Er hatte
den Kopf in den Nacken geworfen, als suchte er etwas, und dann begann er ihn
wie wild zu schütteln. »Nein«, sagte er, allerdings nicht nachdrücklich.
Er klang nicht zornig, nur verstört. »Nein.«
»Er ist nicht wach«, murmelte Mrs
Wetherby.
Honoria nickte langsam, und auf einmal erkannte sie das ganze
Ausmaß ihrer selbst gestellten Aufgabe. Sie hatte keine Ahnung von Krankheiten,
und noch weniger wusste sie, wie man jemanden pflegte, der an einem Fieber
litt.
War sie überhaupt deshalb gekommen? Um ihn zu pflegen? Nach der
Lektüre von Mrs Wetherbys Brief war sie vor Sorge dermaßen außer sich gewesen,
dass sie nur ein Bedürfnis hatte: sofort nach
Weitere Kostenlose Bücher