Julia Saison Band 17
wenn sie über sein Privatleben plaudern würde, dachte Georgia. Da musste sie es schon schlauer anstellen.
6. KAPITEL
Juni
„Die Strecke ist rund zehn Kilometer länger als ein normaler Marathon“, erklärte der Zuschauer neben ihr, ohne die Augen von der Wegbiegung zu nehmen. „Aber es geht nicht um Rekorde. Dies ist nur ein Vereinstraining.“
Nur, dachte Georgia schmunzelnd. Das war so, als würde sie die Fahrt im Auto ihrer Großmutter von London hierher als Katzensprung bezeichnen.
Auf dem Weg zur englisch-schottischen Grenze hatte sie gemerkt, wie lange sie nicht mehr aus London herausgekommen war. Viel zu lange. Also hatte die Aktion auf jeden Fall etwas Gutes, selbst wenn sie sich als Schnapsidee entpuppen sollte.
Die Läufer kamen dem berühmten Hadrianswall nicht wirklich nahe, was Georgia enttäuschend, aber nachvollziehbar fand. Die vergangenen zweitausend Jahre hatten den römischen Befestigungswall arg mitgenommen. Vierzig verschwitzte Langstreckenläufer und ihre mitgereisten Anhänger würden den Zustand nicht gerade verbessern.
Zum Glück verlief die Rennstrecke unweit der mehr oder weniger schmalen Straßen. So konnte Georgia sich immer wieder unter das Publikum mischen. Sobald die Läufer eine Stelle passiert hatten, fuhr sie ein Stück weiter, parkte den Wagen und gesellte sich wieder zu den Zuschauern. Einmal duckte sie sich blitzschnell hinter einen Strauch, weil das Grüppchen am Wegesrand so überschaubar war, dass Alex sie womöglich erkannt hätte.
Nachdem Georgia mehrere Stationen abgeklappert hatte, wusste sie, dass sie sich keine Sorgen machen musste. Alex nahm die Menschen entlang der Strecke gar nicht wahr. Er befand sich in seiner eigenen Welt. Außerdem schien er anders als manche anderen Läufer niemanden mitgenommen zu haben, der ihn anfeuerte und mit Getränken oder Obst versorgte. Beruhigt hatte sie sich bei der nächsten Etappe Zeit genommen, um einen Abstecher zum Befestigungswall und zu einer römischen Ruine zu machen.
„Da kommen sie“, sagte ihr Nachbar. Er schnappte sich eine Trinkflasche und zwei Bananen und erhob sich vom Klappstuhl, um am Rand der Strecke abzuwarten, ob sein Läufer Verpflegung brauchte.
Georgia stellte sich unauffällig hinter ihn und hielt Ausschau nach Alex, der durch seine Größe und sein neongrünes Shirt aus der Gruppe herausstach. Ein paar Sportler eilten vorüber, dann sah sie etwas Grünes aufblitzen.
Alex schaute stur geradeaus. Sein Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig, und die Entschlossenheit, dieses Rennen zu bewältigen, stand ihm ins Gesicht geschrieben. Schweiß bedeckte seine bloßen Arme und Beine. Georgia fragte sich, wie er es fertigbrachte, nicht abgekämpft und klebrig auszusehen, sondern … heiß und sexy. Fasziniert betrachtete sie die Muskeln, die sich unter seiner Haut abzeichneten. Unwillkürlich musste sie daran denken, bei welchen Aktivitäten außer dem Laufen Alex wohl ähnlich verschwitzt und angespannt aussehen mochte …
„Ist das Ihrer?“, erkundigte sich der Mann vor ihr.
Sie lachte ein wenig schrill. „Nein, er ist nur ein Bekannter.“
Der Mann sah sie an, als hätte sie Chinesisch gesprochen. „Ich meine, ob er der Läufer ist, wegen dem Sie hier sind.“
„Oh. Ja.“
Er schaute wieder zur Kurve, in Erwartung seines Schützlings. „Bei der nächsten Station können Sie ihm gern eine meiner Trinkflaschen geben.“
„Vielen Dank, nicht nötig. Ich schaue nur zu.“
„Tja, dann sehen wir uns nachher im King’s Arms . Bis dahin haben wir uns wohl alle ein kühles Bierchen verdient.“
Georgia war hier, um ein Gespür für die Sportart zu bekommen, die Alex so liebte. Bis zum Ende des Rennens wollte sie gar nicht bleiben, denn erstens stand ihr eine lange Rückfahrt bevor, und zweitens glaubte sie nicht, dass Alex sich über ihre Anwesenheit im Ziel freuen würde. Andererseits fühlte sie sich entschieden unwohl bei dem Gedanken, als Stalkerin unterwegs zu sein. Spontan beschloss sie, ihren Plan zu ändern: „Ja, bis nachher.“
Die Anstrengung war den Läufern immer deutlicher anzusehen. Alex lief nach wie vor zügig, doch um seinen Mund schienen sich zwei Falten einzugraben, und die Sehnen an Hals und Unterschenkeln traten deutlicher hervor. Beeindruckt schaute Georgia zu, wie er sich aus dem Hauptfeld absetzte und zur Spitzengruppe aufschloss.
Die meisten Zuschauer fuhren los, um ihre Läufer beim Überqueren der Ziellinie zu feiern, doch Georgia setzte sich ins King’s
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