JULIA SOMMERLIEBE Band 21
wie man die Galerie zu Geld machen kann. Seit ihr Vater tot ist, wollte sie, dass Corin verkauft. Und als er sich geweigert hat, hat sie die Scheidung eingereicht – nachdem sie jemanden gefunden hatte, der seinen Platz einnehmen konnte.“ Sie seufzte. „Er hat es nicht verdient, so hintergangen zu werden, aber Nettsein macht sich nun mal nicht bezahlt.“
Stimmt, dachte Marisa nun bitter, und ein Schuft wie Lorenzo Santangeli wird vom Erfolg verwöhnt – das ist nicht gerecht.
Bedrückt ging sie zu ihrem Schreibtisch. Zumindest würde die Arbeit sie ablenken.
Der Nachmittag verlief ruhig. Dennoch war es ein erfolgreicher Tag, denn die Kunden, die kamen, suchten nicht lange, sondern kauften kurz entschlossen. Mrs. Brooke lenkte schließlich auch ein und erstand das Aquarell zum vereinbarten Preis, und ein älterer Herr kaufte für seine Frau ein Landschaftsgemälde vom Lake District.
„Wir haben dort unsere Flitterwochen verbracht“, erzählte er Marisa, als er ihr seine Kreditkarte reichte. „Trotzdem ist mir die Wahl schwergefallen, denn das Gemälde der italienischen Küste vom gleichen Maler ist ebenfalls wunderschön.“ Er seufzte, während er seinen Erinnerungen nachhing. „Wir haben in der Nähe von Amalfioft Urlaub gemacht und denken gern an diese Zeit zurück.“ Er sah Marisa an. „Kennen Sie die Gegend dort?“
Einen Moment lang schien Marisa zu erstarren, und ihre Finger gehorchten ihr nicht mehr. Doch sie zwang sich zu einem höflichen Lächeln, als sie ihm die Kreditkarte und seine Quittung reichte. „Ich bin einmal dort gewesen. Es ist … unglaublich schön dort.“
Und ich wünschte, Sie hätten das Bild von Amalfige kauft, damit ich es nicht mehr jeden Tag vor Augen haben muss …
Sie vereinbarte mit dem Kunden ein Datum für die Lieferung des Gemäldes und brachte ihn dann zur Tür.
Als sie wieder an ihrem Schreibtisch saß und den Verkauf in den Computer eingab, ertappte sie sich dabei, dass ihr Blick immer wieder zu dem Bild der Amalfiküste wanderte.
Es war, als hätte der Maler – genau wie sie – auf der Bank unter dem Zitronenbaum im üppig blühenden Garten der Casa Adriana gesessen. Als hätte er ebenfalls über die kleine Mauer am Rande der steil abfallenden Klippe geschaut, unter der sich das Meer azurblau bis zum Horizont erstreckte.
Seit sie das Gemälde in der Galerie entdeckt hatte, stockte ihr jedes Mal der Atem, sobald sie es betrachtete. Dieses Kunstwerk erinnerte sie mit aller Macht an ihren Zufluchtsort, an den sie sich während der oft belastenden Wochen ihrer Hochzeitsreise zurückgezogen hatte.
Jeden Morgen hatte sie sich dorthin geflüchtet, wohl wissend, dass niemand sie an diesem verwunschenen Ort finden würde. Schmerzhaft war ihr dort bewusst geworden, dass Einsamkeit nicht unbedingt Alleinsein bedeutete, sondern dass man auch an der Seite eines Mannes einsam sein konnte, von dem man nicht geliebt wurde. Jedes Mal, wenn ihr klar geworden war, dass ihr Schicksal besiegelt war, hatte ein eisiger Schauer ihren Körper durchzuckt.
Kurz vor Sonnenuntergang hatte sie ihren Geheimplatz dann widerstrebend verlassen, um in der Villa San ta Caterina gemeinsam mit dem Mann zu Abend zu essen, den sie geheiratet hatte. Im warmen Schein unzähliger Kerzen hatten sie in angespanntem Schweigen zusammen auf der blühenden Terrasse gesessen, während die laue Sommernacht Leidenschaft und Begehren verheißen hatte.
Welch eine Ironie, dachte Marisa bitter.
Sobald sie ihr Mahl beendet hatten, war Marisa aufgestanden, hatte Lorenzo mit gepresster Stimme eine gute Nacht gewünscht und war in ihr Zimmer hinaufgegangen. Allein hatte sie in ihrem riesigen Bett gelegen und gebetet, dass ihr Ehemann nicht plötzlich in der Tür stehen und – trotz allem, was zuvor geschehen war – sein Recht wieder einfordern würde.
Glücklicherweise waren ihre Gebete erhört worden.
Und nun hatte sie sich von ihm getrennt und jeglichen Kontakt abgebrochen. Vermutlich hatte Lorenzo mittlerweile verstanden und leitete die notwendigen Schritte ein, um ihre sogenannte Ehe aufzulösen.
Ich hätte dieser Heirat niemals zustimmen dürfen. Ich muss verrückt gewesen sein. Aber egal, was ich von mei ner Cousine Julia auch halte: Ich hätte es nicht ertragen, dass sie meinetwegen ihr Zuhause verliert – noch dazu mit einem kranken Ehemann, um den sie sich kümmern muss .
Sie erinnerte sich an den Abend, als sie die Wahrheit erfahren hatte …
Zunächst war sie peinlich berührt gewesen,
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