JULIA SOMMERLIEBE Band 21
erst mal ein Kind geschenkt hast, wird er dich wahrscheinlich in Ruhe lassen. Er wird sich weiterhin auf seine Art amüsieren, so wie er es schon jetzt tut – allerdings mit mehr Diskretion als bisher. Und du wirst dein eigenes Leben führen.“
Entgeistert sah Marisa sie an. „Was soll das heißen? Willst du damit sagen, dass er mit jemandem zusammen ist? Er hat … eine feste Freundin?“
„Es scheint, als sei sie sogar mehr als das“, entgegnete Julia gleichgültig. „Soweit ich weiß, ist Lucia Gallo eine venezianische Schönheit, die beim Fernsehen arbeitet. Sie sind seit einigen Monaten unzertrennlich.“
„Ich verstehe.“ Marisa spürte, dass ihre Cousine es genoss, ihr diese schmerzhafte Wahrheit schonungslos an den Kopf zu werfen. Deshalb bemühte sie sich um einen sachlichen Tonfall. „Wenn das so ist, warum heiratet er dann nicht diese Lucia Gallo?“
„Sie ist geschieden und in jeder Hinsicht unpassend.“ Sie machte eine bedeutungsschwere Pause. „Ich dachte, ich hätte dir hinreichend klargemacht, dass die Santangelis von ihren zukünftigen Frauen erwarten, jungfräulich in die Ehe zu gehen.“
„Ganz offensichtlich gilt das nicht für die Männer der Familie“, versetzte Marisa kühl.
Julia lachte. „Wohl kaum. Und du wirst froh darüber sein, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, glaube mir.“ Ihr Ton wurde versöhnlicher. „Denk doch mal nach, Marisa. Diese Heirat muss dich keineswegs ins Unglück stürzen. Du hast immer gesagt, dass du reisen möchtest. Tja, das wirst du können – und sogar Erster Klasse. Und mit Florenz hast du die Welt der schönen Künste praktisch vor deiner Haustür. Du kannst dir ein eigenes Leben aufbauen.“
„Denkst du wirklich, das ist es mir wert?“ Marisa sah ihre Cousine ungläubig an. „Stellst du dir vor, ich lasse mich … benutzen, um im Gegenzug die Accademia in Florenz besuchen zu können? Das ist verrückt!“
„O ja, genau das wirst du tun“, betonte ihre Cousine mit grimmiger Entschlossenheit. „Wir sind abhängig von den Santangelis. Auch du. Das kostspielige Leben, das wir führen, liegt in ihren Händen. Und wenn du Lorenzo heiratest, können Harry und ich weiterhin so leben wie bisher. Die Familie hat angeboten, uns ein behindertengerechtes Haus außerhalb Londons zu bezahlen und eine Pflegekraft für Harry einzustellen, wenn es irgendwann nötig ist.“ Einen Moment lang drohte ihre Stimme zu kippen. „Unter normalen Umständen könnten wir uns das niemals leisten.“ Sie gewann ihre Fassung zurück. „Wenn du dich weigerst, wird unser bisheriges Leben in Trümmern liegen. Wir werden das Haus verlieren – und alles andere. Und das nur, weil eine verwöhnte kleine Göre, die in den vergangenen Jahren alles genommen hat, was sie kriegen konnte, plötzlich ihr Zartgefühl entdeckt hat und den Preis nicht bezahlen will. Tja, nichts ist umsonst, Süße. Also füge dich in dein Schicksal.“ Sie lachte bitter auf. „Und denk daran: Eine Menge Mädchen würden alles tun, um an deiner Stelle zu sein. Du musst nur ein bisschen freundlich sein am Tag, entgegenkommend in der Nacht und nicht zu viele Fragen stellen, wo und mit wem er seine Zeit verbringt. Selbst du solltest das hinkriegen.“
Aber ich konnte und kann es nicht, dachte Marisa verzweifelt und erschauderte, als sie sich an die Bosheit in der Stimme ihrer Cousine erinnerte.
Mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung standen, hatte sie versucht, die Hochzeit zu verhindern. Sie hatte argumentiert, gebettelt, gekämpft. Und immer wieder hatte sie versucht, Kontakt zu Alan aufzunehmen. Vergeblich. Er schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein.
Erst eine Woche später war es ihr endlich gelungen, ihn telefonisch zu erreichen – nur um zu erfahren, dass er ein Angebot bekommen hatte, in Hongkong zu arbeiten …
„Das ist eine Riesenchance für mich“, erklärte er, doch er konnte das Unbehagen in seiner Stimme nicht verbergen. „Die Möglichkeit hat sich … ganz plötzlich ergeben. Andere warten jahrelang auf einen solchen Karrieresprung.“
„Ich verstehe.“ Sie konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, dennoch schaffte sie es, locker zu klingen. „Vermutlich würdest du nicht in Betracht ziehen, mich mitzunehmen?“
Es blieb lange still am anderen Ende der Leitung. „Marisa, du weißt, dass das nicht geht“, antwortete Alan gepresst. „Da hat jemand die Fäden gezogen, um mir diesen Job zu verschaffen – schließlich sollst du künftig in einer anderen Liga
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