JULIA VALENTINSBAND Band 19
sie gerade in der Hand hielt. Oder daran, dass er ein paar Schritte rückwärts laufen und mit der linken Hand einen Korbleger hinlegen konnte. Dabei sah er immer unglaublich sexy aus … und sie hatte ihn mit einem Kuss belohnt.
Ob er sich auch an diese Dinge erinnert? fragte sie sich unwillkürlich, stellte sich auf die Zehenspitzen und ließ den Blick über die Menge schweifen. Schließlich konnte er sich nicht in Luft aufgelöst haben.
Doch. Er hatte sich in Luft aufgelöst.
Der Regen kühlte ihre erhitzte Haut. Es hätte sich großartig angefühlt – wenn sie in der Lage gewesen wäre, sich zu entspannen und die Tropfen zu genießen. Sie liebte Gewitterstürme, sie liebte den Geruch des Regens auf dem Rasen und auf den Blumen, sie liebte es, wie es aussah, wenn die dunklen Wolken sich irgendwann verflüchtigten und die Wassertröpfchen die gesamte Landschaft überzogen hatten.
Aber heute Abend hatte Chloe kein Auge für diese Schönheiten. Sie konnte sich nur auf eins konzentrieren: auf Ian. Sie musste ihn wiederfinden.
Schließlich ermahnte sie sich, die Gedanken nicht unablässig um dieselbe Frage kreisen zu lassen. Es ist vorbei, redete sie sich ein. Am besten, du fährst jetzt nach Hause. Oder vielleicht sollte sie ins Büro gehen, um noch ein wenig zu arbeiten und sich in den Zahlenkolonnen zu verlieren. Die Zahlen hatten sie noch nie enttäuscht und noch nie verletzt.
Außerdem hatten sie sich noch nie in Luft aufgelöst.
Es kam noch besser. Am Ende eines langen Tages stand jede Zahl am richtigen Platz. Das Chaos hatte keine Chance, und um den nächsten Tag musste sie sich keine Sorgen machen.
Was konnte man mehr vom Leben erwarten, überlegte sie. Nichts. Und was war mit dem leisen Zweifel, der sich in ihre Gedanken schlich, mit der Stimme, die ihr einreden wollte, dass es mehr gab im Leben – viel mehr, wie sie selbst herausfinden würde, wenn sie nur ihr Herz öffnete? Den Zweifel und die innere Stimme hatte sie in den hintersten Winkel ihres Herzens verbannt; genau dort, wo sie bereits Madame Karmas unheilvolle Prophezeiung abgelegt hatte.
Chloe hatte keine Zeit für Tagträumereien.
Das Gebäude des Shopping-Centers war wie ein großes „U“ geformt. Ihr Büro befand sich im vierten Stock auf der linken Seite des „U“. Normalerweise nahm sie die Treppen. Das Treppensteigen war ihr täglicher Sport, und es war die Entschuldigung dafür, dass sie sich mittags immer den geliebten Hamburger mit Pommes frites gönnte. Aber weil sie heute schon mehrmals die vier Stockwerke hinauf- und hinuntergelaufen war, machte sie eine Ausnahme und entschied sich für den Fahrstuhl.
In ihrer Etage stieg sie aus, ging an den Topfpflanzen vorbei, die im Flur vor den Räumen des Chiropraktikers aufgereiht waren, passierte die hübschen afrikanischen Statuen vor dem Laden des Antiquitätenhändlers und erreichte endlich ihr Büro am Ende des Ganges.
Chloe schloss die Tür auf und knipste das Licht an. Es war gerade genügend Zeit, um einen Blick auf den großen, aufgeräumten Tisch im Empfangsbereich zu werfen, auf dem ein Computer und eine Addiermaschine standen, bevor das Licht flackerte und verlöschte.
Irritiert ging sie zur Wand, tastete nach dem Schalter und drückte mehrmals.
Nichts geschah.
Ein Stromausfall.
Das Karma machte Urlaub auf den Bahamas …
Rechts neben ihrem Schreibtisch zuckte ein Blitz am dunklen Himmel, und den Bruchteil einer Sekunde später krachte der Donner so laut, dass sie erschrocken aufsprang. „Bleib locker“, beschwichtigte sie sich, „es liegt am Gewitter, dass der Strom ausgefallen ist.“
Chloe wartete ab und war überzeugt, dass das Licht gleich wieder brennen würde. Schließlich befand sie sich in Los Angeles, und in Los Angeles gab es keine längeren Stromausfälle.
Nichts passierte. Sie hatte gehofft, dass der Computer jeden Moment das vertraute Brummen von sich geben würde. Aber außer ihren eigenen Atemzügen gab es keine Geräusche, die die angespannte Stille durchdrangen.
Verdammt noch mal, fluchte sie unhörbar, was soll ein Workaholic bloß tun, wenn die blanke Panik ausbricht und er nicht arbeiten kann?
Sie war entschlossen, sich nicht aus der Bahn werfen zu lassen, und ging zum Schreibtisch hinüber. Den Weg hätte sie auch mit verbundenen Augen finden können. Chloe wühlte in der obersten Schublade herum und fand schließlich die schwere Taschenlampe, mit der sie jeden Einbrecher zu Boden schlagen könnte. Damit half sie sich, bis sie mehrere
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