Julia-Weihnachten Band 23
wusste nicht, wie viel sie ihm von ihrer Vorgeschichte verraten sollte.
„Hast du schon mal vor Publikum oder für Geld gesungen?“
„Ja, obwohl ich nicht viel dafür bekommen habe. Aber ich habe noch nie vor Menschenmassen in ausverkauften Sälen gesungen.“
Ein berühmter Musiker wie Greg konnte sich wahrscheinlich nicht vorstellen, in welch schäbigen Kneipen sie mit der South Forty Bandaufgetreten war. Vorsichtshalber fügte sie hinzu: „Ich bin wirklich nicht das, was man unter einer professionellen Sängerin versteht.“
„Wie oft bist du denn aufgetreten?“
„Ich habe etwa ein Jahr lang in einer Band gesungen. Ehrlich gesagt hat es mir ganz gut gefallen. Aber damals war ich noch jung und naiv. Und es ist eine Phase in meinem Leben, die ich vergessen möchte.“
Das Gesprächsthema rief unliebsame Erinnerungen wach. Mit gerade einmal achtzehn Jahren war sie von zu Hause weggegangen und hatte sich mit Hilfsarbeiten über Wasser gehalten. Nach etwa einem Jahr hatte sie Ross Flanders, den Bassgitarristen einer unbedeutenden Country-Band, in ihrem Stammlokal kennengelernt und sich mit ihm eingelassen. Entgegen den Bitten und Drohungen ihrer Mutter war sie mit ihm zusammengezogen.
Ross hatte als Erster ihre Vorzüge und Talente entdeckt, zu denen ihre Singstimme zählte, und ihr bald vorgeschlagen, zusammen mit seiner Band in Bars und Saloons aufzutreten. Trotz ihrer wiederholten Weigerung war er hartnäckig geblieben. Schließlich hatte sie nachgegeben und festgestellt, dass ihr der Nervenkitzel, vor Publikum auf eine Bühne zu treten, durchaus zusagte. Doch der Preis, den sie dafür zahlen musste, war sehr hoch.
„Ich suche ab nächste Woche einen Ersatz für Patty“, eröffnete Greg. „Warum kommst du nicht zum Vorsingen?“
„Ich bin nicht das, was du brauchst.“
„Lass mich das beurteilen.“
„Tut mir leid. Ich bin nicht interessiert.“
Er zuckte die Schultern. „Wie du meinst.“
„Trotzdem viel Glück bei der Suche. Ich hoffe, dass du bald jemanden findest.“
„Danke. Ich gebe mich nicht mit irgendwem zufrieden. Da sage ich die Tournee lieber ab.“
Connie war durchaus klar, dass er hohe Ansprüche an seine Backup-Sängerin stellen musste. Doch sie glaubte nicht, dass er die Tournee tatsächlich absagen und somit seine Fans im Stich lassen würde. Die Zeitungsartikel über ihn berichteten allesamt von seiner unerschütterlichen Hingabe an seinen Beruf. In Nashville hatte er einmal ein Open-Air-Konzert bei über vierzig Grad gegeben, anstatt es abzusagen oder zu verschieben.
Nachdenklich musterte er sie. „Vermisst du es eigentlich? Die Bühne, den Gesang, den Applaus?“
„Nein.“ Ihr fehlte weder die Band noch die Auftritte und schon gar nicht Ross. „Ich bin nicht dafür geschaffen, vor einem Publikum zu singen.“
„Das kann man nie wissen.“
„Doch. Ich weiß es.“ Und selbst wenn sie sich genügend Talent eingebildet hätte, um mit einer der besten Bands im Land zu touren, wenn sie nicht davor zurückgeschreckt wäre, ihr Baby von Stadt zu Stadt zu schleifen, sprach ein weiterer entscheidender Grund dagegen: Ross durfte auf keinen Fall Wind von ihrem Aufenthaltsort bekommen.
Auch wenn neun Monate seit ihrem letzten Beisammensein vergangen waren, seine Misshandlungen und Drohungen waren noch zu frisch.
Er hatte sich nicht immer wie ein Schuft benommen. Doch je mehr er trank, umso mehr wuchs seine Gewaltbereitschaft. Bei seinem ersten Wutausbruch war sie durch einen Stoß von ihm hingefallen und hatte sich den Fußknöchel verstaucht. Beim zweiten Mal hatte er ihr einen Arm ausgerenkt. Beim nächsten Gewaltakt, einem Faustschlag ins Gesicht, war ihre Lippe aufgeplatzt.
Jedes Mal, wenn ihm seine Untat bewusst wurde, weinte er und versprach hoch und heilig, mit dem Trinken aufzuhören und nie wieder die Hand gegen sie zu erheben.
Aus Mitleid mit ihm verzieh sie ihm immer wieder.
Aber er konnte einfach nicht auf Alkohol verzichten.
Die Jungs in der Band versuchten vergeblich, ihn zu einer Entziehungskur zu überreden. Folglich machten sie ihn für ihren mangelnden Erfolg verantwortlich und warfen ihn aus der Band.
Doch sie baten Connie zu bleiben, und sie willigte ein.
Ross war außer sich vor Zorn und Eifersucht. Da er sich weiterhin weigerte, Hilfe in Anspruch zu nehmen, beendete sie die Beziehung zu ihm. Seitdem verfolgte er sie auf Schritt und Tritt und belästigte sie.
Bei ihrem letzten Auftritt in einer schäbigen Spelunke kam ein sehr junger
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